Datum: 04. Mai 2009

PM 2009-106: Koalition beschließt im Sozialausschuss verfassungswidriges Gesetz

Im heutigen Sozialausschuss hat die Koalition mit dem Gesetz zur Förderung der Teilnahme von Kindern an Früherkennungsuntersuchungen einen Gesetzentwurf beschlossen, der laut eines von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Auftrag gegebenen Gutachtens des Juristischen Dienstes des Landtags gegen das Grundgesetz und die Sächsische Verfassung verstößt.
Das Gutachten stellt eindeutig fest, dass der Gesetzentwurf in das in Artikel 6 Grundgesetz und Artikel 22 Sächsische Verfassung festgeschriebene elterliche Erziehungsrecht in einer unverhältnismäßigen Weise eingreift. Damit verstoßen die Maßnahmen zu verpflichtenden Früherkennungsuntersuchungen nach Ansicht des Juristischen Dienstes gegen das Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Sowohl der Innen- als auch der Verfassungsausschuss wurden an diesem Gesetzgebungsverfahren nicht beteiligt.
Dazu erklärt Elke Herrmann, sozialpolitische Sprecherin der GRÜNEN-Fraktion: "Ich habe die Koalition aufgefordert, den Gesetzentwurf nicht im Sozialausschuss zu behandeln, sondern nachzubessern. Dies lehnten CDU und SPD ab. Wissentlich verabschieden sie ein Gesetz, das gegen das Grundgesetz und gegen die Sächsische Verfassung verstößt."
"Der Juristische Dienst des Landtags hält die getroffenen Maßnahmen insbesondere deshalb für unverhältnismäßig, weil kein direkter Zusammenhang nachgewiesen ist, dass Kinder, die nicht an Frühkennungsuntersuchungen teilnehmen, zu einem höheren Prozentsatz gefährdet sind, vernachlässigt oder misshandelt zu werden", so Herrmann.
"Mir scheint, dass die Koalition ihr geringes Engagement im Bereich Kinderschutz nun durch ein in aller Eile zu verabschiedendes Gesetz kurz vor der Wahl übertünchen will. Rechtsstaatliche Prinzipien, wie die verfassungsrechtliche Vereinbarkeit von Gesetzen, werden dem Gesetz des Wahlkampfs untergeordnet", erklärt Herrmann.
"Der Gesetzentwurf weist darüber hinaus ernsthafte fachliche Mängel auf. Es ist fragwürdig, wie die Beschäftigten des Gesundheitsamts entscheiden sollen, ob tatsächlich eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Woher sollen sie diese Information erhalten? Verfügen sie tatsächlich über die fachlichen Kenntnisse, gewonnene Informationen zu bewerten? Der Gesetzentwurf sieht keinen Cent mehr für die Jugendämter vor. Diese haben schon jetzt zu wenig Zeit und Personal, um alle Fälle zu bearbeiten. Wer soll sich um die zusätzlichen Meldungen vom Gesundheitsamt kümmern? Schon diese Fragen zeigen, dass das formulierte Ziel ‚mehr Kinderschutz‘ mit diesem Gesetz nicht zu erreichen ist."
Erst in dieser Woche war in der Zeitung zu lesen, dass das Jugendamt in Dresden 10 bis 15 Prozent mehr Geld benötigt, damit seine Fachkräfte bei Gefährdungen rechtzeitig eingreifen können (SZ, 28.4.).

Hintergrund:
Das Gesetz zur Förderung der Teilnahme von Kindern an Früherkennungsuntersuchungen soll Eltern verpflichten, einen Teil der Früherkennungsuntersuchungen für Kinder (sog U-Untersuchungen) verbindlich wahrzunehmen. Wenn Eltern ihr Kind nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraumes bei einem Arzt für die jeweilige U-Untersuchung vorstellt, lädt das Gesundheitsamt die Eltern gezielt ein. Wenn auch nach dem 2. Anschreiben keine Rückmeldung erfolgt, kann das Gesundheitsamt die Eltern an das Jugendamt melden. Der Freistaat finanziert dieses Einladungsverfahren mit 2,2 Millionen Euro jährlich. Die Jugendämter erhalten davon keinen Cent.