Suchthilfe – Čagalj Sejdi: Wir müssen frühzeitig und altersgerecht aufklären
Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD: „Suchthilfe in Sachsen weiterentwickeln und neue Bedarfe aufgrund der Corona-Pandemie erkennen“ (Drs 7/10169)
54. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 14.07.2022, TOP 9
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
Sucht ist kein Randthema, Sucht betrifft uns alle. Ob stoffgebundene Suchtmittel wie Nikotin, Alkohol, Beruhigungs- und Schmerzmedikamente oder illegale Drogen oder nicht stoffgebundene Suchtmittel wie Onlinespiele oder Social Media – wir alle haben entweder eigene Suchterfahrungen gemacht oder kennen Betroffene im näheren Verwandten- oder Bekanntenkreis.
Sucht ist ein Thema aus unserer Mitte – es geht uns alle an. Und deshalb müssen wir es auch gemeinsam angehen.
Die vergangenen zweieinhalb Jahre haben uns stark gefordert und die Pandemie hat uns das Leben sehr schwer gemacht und Suchtproblematiken oft verstärkt. Die Suchthilfe steht vor vielen neuen Aufgaben.
Die Corona-Krise hat therapierte Suchtkranke sehr gefordert, zum Beispiel wenn die Tagesstruktur auf einmal durcheinandergekommen ist oder der so wichtige Kontakt zur Selbsthilfegruppe wegfiel; wenn durch die Isolation Depressionen und Ängste entstanden oder Geldsorgen aufkamen. Wir haben diese Momente alle mehr oder weniger stark erlebt und viele von uns wissen sicher auch, wie sich psychische Belastungen anfühlen und wie schwer es ist, sie in den Griff zu bekommen. Noch schwerer ist es für bereits vorbelastete, suchtkranke Menschen.
Zukunftsängste, psychische Belastungen und Stress durch die Corona-Krise haben das Suchtpotenzial erhöht.
Wir haben in Sachsen eine professionelle, gut ausgebaute Suchthilfe-Landschaft. Doch damit auch in Zukunft eine bestmögliche Versorgung in allen Regionen Sachsens sichergestellt wird, ist eine Analyse der aktuellen Bedarfe und möglicher Veränderungen aufgrund der Corona-Pandemie notwendig. Deshalb wollen wir uns von der Staatsregierung umfassend berichten lassen, wie sich die Suchtprävention, die Beratung und Behandlung entwickelt hat. Dabei nehmen wir legale und illegale Drogen gleichermaßen in den Blick, ebenso wie nichtstoffgebundene Suchtmittel. Denn Suchtkranke, die Unterstützung suchen, brauchen schnelle Hilfe.
Der 4. Drogen- und Suchtbericht der Staatsregierung soll im nächsten Jahr vorgelegt werden und die Auswirkungen der Corona-Pandemie darlegen. Es ist wichtig, dass diese Analyse in Zusammenarbeit mit den Fachkräften der Suchthilfe erfolgt, die den genauen Einblick in die realen Lebensumstände suchtkranker Menschen haben.
Unser Fokus liegt aber nicht nur auf den Entwicklungen durch die Corona-Krise. Bereits im Koalitionsvertrag haben wir uns ganz konkrete Ziele gesetzt. Diese sollen mit dem Antrag weiter vorangebracht werden.
Wir lenken dabei den Blick vor allem auf die Bedürfnisse junger Menschen:
Es sind leider keine Einzelfälle, in denen Eltern von Sucht betroffen sind. Es sollte möglich sein, dass Kinder während der wichtigen Therapiezeit nicht auf ein Leben in der Familie verzichten müssen. Daher brauchen wir ausreichend Eltern-Kind-Therapieplätze. Es geht dabei auch um das Wohl der Kinder, die durch die Sucht ihrer Eltern oft psychisch belastet sind und ebenso Unterstützung und Hilfe brauchen. Diese muss ausreichend gewährleistet werden, ebenso wie der Ausbau neuer, erfolgsvorsprechender ambulanter bzw. stationärer Angebote für Jugendliche mit Suchtproblemen.
Ein weiteres wichtiges Anliegen unseres Antrags ist die Unterstützung und vor allem Behandlung von Kindern, die bereits im Bauch der Mutter durch Drogen geschädigt wurden. Wir sind überzeugt, die Behandlung und Begleitung Crystal-geschädigter Säuglinge und Kinder in den ersten Lebensjahren bis zur Schulzeit muss verbessert werden.
Nicht nur der Drogenkonsum ist eine Gefahr. Ein großes Problem stellt die Spielsucht dar – insbesondere das Glücksspiel. Auch diese hat sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren verstärkt. Ich habe viele junge Leute kennen gelernt, die sich in den vergangenen Jahren angewöhnt haben, Casinos aufzusuchen oder online zu spielen – Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Zukunftsängste sind oft die Auslöser. Und nach einem ersten Versuch wird das schnell zur Sucht. Hier brauchen wir dringend ein größeres ambulantes Hilfenetz zur Prävention, Beratung und Behandlung.
Auch die ältere Generation hat Suchtprobleme. Sie waren durch die Pandemie besonders belastet durch Einsamkeit, Existenz- und Gesundheitsängste. Das verstärkt den Konsum von Tabletten, Alkohol und anderen Suchtmitteln. Hier sind Langzeiteffekte zu erwarten, die den Hilfsbedarf verstärken werden. Darauf müssen wir gut vorbereitet sein mit passgenauen Angeboten.
Und auch das muss in dieser Debatte deutlich gesagt werden: Alkohol ist immer noch die Problemdroge Nummer 1 in Sachsen. Das hat der Suchtbericht 2021 einmal mehr gezeigt. Knapp die Hälfte (47 Prozent) der Beratungen drehte sich demnach um Alkoholprobleme, etwas mehr als im Jahr 2020, laut der Sächsischen Landesstelle gegen die Suchtgefahren (SLS). Außerdem waren drei Viertel aller Suchtdiagnosen in den Krankenhäusern alkoholbezogen. Deshalb ist es uns BÜNDNISGRÜNEN so wichtig, dass Sachsen dem entgegenwirkt und das Nationale Gesundheitsziel „Alkoholkonsum reduzieren“ aktiv unterstützt.
Ich bin überzeugt, dass wir hier viele ernst zu nehmende Aufgaben vor uns liegen haben. Der Krisenmodus hält an. Wir sollten aus diesem Grund die Prävention noch einmal deutlich stärken. Das heißt, mit jungen Menschen an Schulen ins Gespräch kommen, zum Beispiel über die mobile Ausstellung „GlückSuchtDich“, die seit einigen Jahren durch Sachsen tourt. Wir müssen frühzeitig und altersgerecht aufklären, auch über neue, vermeintlich harmlose Drogen, wie „Legal Highs“. Und wir sollten dabei helfen, psychische Belastungen und Erkrankungen, die oft eine Ursache für Suchtprobleme sind, zu enttabuisieren. Es braucht unkomplizierte und niedrigschwellige Hilfe, digitale Beratungsangebote, Hilfetelefone und Therapieplätze ohne lange Wartezeiten.
Die Debatte hat gezeigt, wie wichtig der Antrag und das Thema ist. Wir machen heute einen wichtigen Schritt, weitere werden folgen. Ich bitte um Zustimmung.