Sächsische Vollzugsgesetze – Hammecke: Es sollte und muss uns als Gesellschaft interessieren, wie der Vollzug gestaltet wird
Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der Staatsregierung: „Gesetz zur Änderung der sächsischen Vollzugsgesetze“
(Drs 7/14270)
80. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 13.12.2023, TOP 6
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Abgeordnete,
ich möchte vielleicht so anfangen: Ich bin sehr dankbar, dass wir heute hier im Plenum über den Strafvollzug sprechen. Denn leider fristet der Vollzug allzu häufig nur ein Nischendasein, sowohl im politischen als auch im gesellschaftlichen Raum. Wenige möchten sich außerhalb von True Crime Podcasts und Sonntagabendkrimis mit der Realität von Straftaten und Kriminalität beschäftigen.
Dabei ist es unsere Verantwortung, evidenzbasierte Politik, auch im Bereich Strafvollzug, zu machen. Das hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Gefangenenvergütung noch einmal deutlich gemacht: Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber dazu, ein umfassendes, wirksames und in sich schlüssiges, am Stand der Wissenschaft ausgerichtetes Resozialisierungskonzept zu entwickeln sowie die von ihm zu bestimmenden wesentlichen Regelungen des Strafvollzugs darauf aufzubauen.
Es sollte und muss uns als Gesellschaft also interessieren, wie der Vollzug gestaltet wird, wenn wir uns dafür entscheiden, Menschen zu inhaftieren. Damit der Vollzug auch seine Ziele erfüllt: Dazu gehört natürlich die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Während der Zeit der Haft, aber eben auch in der Zeit darauf. Und §2 Satz 1 SächsStrafVollzG: Der Vollzug dient dem Ziel, die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.
Dies muss uns leiten und leitet uns, bei allen Entscheidungen zur weiteren Entwicklung der Strafvollzugsgesetze und der Vollzugspraxis.
Deshalb liegt nun vor Ihnen ein Paket moderner Vollzugsgesetze; und ich freue mich, diese noch zum Ende des Jahres hier im Hohen Hause verabschieden zu können.
Mit dieser Novellierung nehmen wir jene Anpassungen vor, die in den vergangenen Jahren notwendig geworden sind, damit der sächsische Strafvollzug die Herausforderungen der Zeit auch gut bewältigen kann – und, das ist mir wichtig zu betonen, der vorliegende Gesetzentwurf eben genau deshalb auch in enger Abstimmung mit der Praxis entstanden ist. Einige Regelungen, wie die Regelungen zu schwangeren Gefangenen, sind bereits gelebte Praxis und erfahren nun eine rechtssichere Grundlage.
Einige Schwerpunkte wurden von meinen Vorredner*innen bereits benannt, ich möchte den Fokus auf folgende setzen: Videobesuche. Die Gründe, warum Videobesuche in Haft sinnvoll sein können, sind vielfältig und wurden in der im Ausschuss stattgefundenen Anhörung von einer Sachverständigen sehr deutlich gemacht: zu weite Anfahrtswege, fehlende finanzielle Mittel für einen Besuch, manche müssen ihre Kinder betreuen oder wollen ihnen den Besuch in einer Vollzugsanstalt nicht zumuten. Andere erzählen ihren Kindern auch gar nicht, dass sie in Haft sind.
Videobesuche sind also aus vielfältigen Gründen – und die haben ganz viel mit der Familie zu tun – gar nicht mehr aus der Vollzugspraxis wegzudenken. Und ich begrüße, dass es für Gefangenen jetzt eine klare Anspruchsgrundlage gibt. Und – da möchte ich einem der Änderungsanträge vorweggreifen: Besuchszeiten im Strafvollzugsgesetz sind immer Mindest-Besuchszeiten, das heißt auch, die hälftige Anrechnung schließt auf keinen Fall aus, dass Gefangene länger Besuche genehmigt bekommen.
Im Bereich Besuche möchte ich gleich einen weiteren Punkt anfügen, den wir stärken – und das sind die sogenannten Langzeitbesuche oder auch Familienbesuche. Hier ändern wir die Regelung von einer „Kann“- zu einer „Soll“-Vorschrift, berücksichtigen zukünftig explizit das Kindeswohl und heben die besondere Bedeutung des Besuches hervor – dies kann so auch zu einer einheitlicheren Verfahrensweise in den Anstalten führen.
Apropos einheitliche Verfahrensweise: Dies bringt mich zu meinem weiteren Schwerpunkt, dem offenen Vollzug. Sachsens Vollzug ist dreigeteilt: Es gibt drei Formen des Strafvollzugs, in denen Gefangene untergebracht werden können. Den quasi „klassischen Vollzug“ (den geschlossenen), den Vollzug in freien Formen (über das Projekt des Seehauses zum Beispiel haben wir ja bereits einige Male gesprochen), aber auch den offenen Vollzug. Diesen wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf weiter stärken. Die momentane Auslastung kann uns mit etwa 32 Prozent nicht zufrieden stellen. Dabei stellt der offene Vollzug eine gute Möglichkeit für Gefangene dar, sich auf die Zeit nach der Inhaftierung – auf das Leben in Freiheit – vorzubereiten, in dem sie eben viel mehr Verantwortung übernehmen müssen. Daher regeln wir nun die Voraussetzungen für die Unterbringung im offenen Vollzug neu. Hierzu gehört auch das sogenannte Selbststellermodell, also Gefangene, die sich rechtzeitig zum Strafantritt selbst stellen und damit für den offenen Vollzug geeignet scheinen. Auch hier erfolgt weiterhin eine Einzelfallentscheidung der Anstaltsleitungen, aber die gesetzliche Regelung stärkt den Anstaltsleitungen hier ganz klar den Rücken.
Zudem haben wir in dieser Novelle auch ein besonderes Augenmerk auf den Frauenvollzug gelegt: Ich habe es am Anfang der Rede erwähnt. Erstmals werden klare Regelungen für die besonderen Bedürfnisse und Regelungen von Schwangeren im Vollzug festgeschrieben, welche die bisherige Praxis festschreiben, aber eben auch sichern und in der Anhörung auch begrüßt wurden.
Zum Schluss noch zwei weitere Punkte:
Als Koalition haben wir in der Ausschusssitzung den Vollzug in freien Formen mit unserem Änderungsantrag als weitere Vollzugsform neben dem geschlossenen und dem offenen Vollzug noch einmal klar im Gesetz verankert. Es ist uns als BÜNDNISGRÜNEN ein besonderes Anliegen, diese Vollzugsform weiter zu stärken. Damit sind wir in Deutschland Vorreiter, was den Vollzug in freien Formen betrifft. Dabei ist es ein Schwerpunkt dieser Koalition eine Vielfalt von Angeboten für den Vollzug in freien Formen haben zu können. Nachdem das Seehaus für Jugendstrafgefangene bereits vor vielen Jahren die Arbeit aufnahm, konnten nun auf Basis des Landeshaushaltes auch das Projekt ‚Pier 36‘ vom Verein für soziale Rechtspflege Dresden e.V. und das Projekt ‚Halbe Treppe‘ in Mohorn der Outlaw gGmbh für Frauen ins Leben gerufen werden.
Nicht zuletzt ändern wir ja nicht nur das Sächsische Strafvollzugsgesetz mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf, sondern auch weitere Vollzugsgesetze unter anderem auch das Justizvollzugsdatenschutzgesetz. Auch hier möchte ich auf einige Verbesserungen eingehen. So wird zukünftig die Akteneinsicht bereits bei berechtigtem Interesse gewährt; die Voraussetzung der Erforderlichkeit entfällt (Nr 30 a); und die Einsicht und das Erstellen einer Kopie der eigenen Krankenunterlagen wird ermöglicht (Nr. 31). Ebenso verengen wir den Korridor für die Übermittlung personenbezogener Daten an Sicherheitsbehörden, was zukünftig nur noch zur Abwehr einer konkreten Gefahr (bisher nur Gefahr) und den weiteren Voraussetzungen möglich ist.
Natürlich gibt es immer auch weitergehende Änderungsvorschläge, und ich möchte auf die Änderungsanträge jetzt gar nicht unbedingt im Detail im Vorhinein eingehen. Sondern mich auf eine weitere, sehr notwendige Veränderung beziehen, die der Antrag der Linksfraktion aufgreift – und uns hier in Sachsen zumindest mittelbar ordentlich Hausaufgaben mitgibt: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht aus dem Juni dieses Jahres zur Gefangenenvergütung. Ich zitierte sie am Anfang. Sie formuliert elementare verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung des Strafvollzugs und die Vergütung von Gefangenen. Mit Blick auf die Übergangsfrist bis 2025, die das Gericht einräumt, ist jetzt die Zeit, mögliche Neuregelungen sorgfältig zu prüfen. Hierzu sind im Moment die Landesjustizverwaltungen in Abstimmung. Unserer Meinung nach sollten die Ergebnisse der gebildeten Arbeitsgruppe, die derzeit noch nicht vorliegen, abgewartet werden – aber wir sollten das vorliegende Paket nicht weiter verzögern. Aber eines ist sehr klar – und das greift die Linksfraktion berechtigt auf: Die nächste Legislatur wird sich hier sehr bald im Lichte des Urteils die Sächsischen Strafvollzugsgesetze noch einmal anschauen müssen.
Für jetzt liegt uns dieser Entwurf der Staatsregierung mit Änderung aus dem Ausschuss vor, zu dem ich sehr gerne um ihre Zustimmung bitte. Ich glaube, dass wir mit dieser Novellierung einen zukunftsgewandten Strafvollzug weiter auf den Weg bringen – und möchte mit einem Dank an meine Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss und Staatsministerin Meier enden.
Vielen Dank.