Rechtsschutz bei Wahlen – Lippmann: Vorschlag der AfD ist verfassungswidrig
Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der AfD-Fraktion: „Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes bei Wahlen“ (Drs 7/10168)
71. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 31.05.2023, TOP 5
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
verehrte Kolleginnen und Kollegen,
es dürfte schon zu den besonderen Grotesken selbst der Politik in Sachsen gehören, dass ein Landesvorsitzender einer im Parlament vertretenen Partei gestern in einer Pressekonferenz ernsthaft den Wählerinnen und Wählern verspricht, bei der kommenden Listenaufstellung zur Landtagswahl Fehler vermeiden zu wollen. Das muss man sich mal vorstellen: Es gilt nun offenkundig in der Politik als Leistung, unfallfrei einen Parteitag durchzuführen. Bei derartigem politisch-intellektuellen Niveaulimbo blutetet einem als überzeugten freiheitlichen Demokraten freilich fast das Herz.
Bei der AfD wundert einen aber bekanntlich ja gar nichts mehr – für alle Parteien gleichermaßen geltende Spielregeln sind ja in dem Moment nur noch lästiger Ballast, wo man auf dem Weg zu selbstausgerufenen Systemsturz über einfachste Formalia zu stürzen droht. Insoweit ist dieser Gesetzentwurf nur konsequent. Nach dem Samtlebendesaster 2014 und dem Aufstellungsdebakel 2019 war es ja zuletzt der Bremer Landesverband, der erneut bewies, dass die AfD und einfachste wahlrechtliche Formalia einander scheuen, wie der Teufel das Weihwasser.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
allerdings zeigt Ihr Gesetzentwurf auch, dass sie dem Versprechen Ihres Landesvorsitzenden wohl nicht ganz zu trauen zu scheinen. Immerhin soll schon mal der Rechtsbehelf geschaffen werde, falls Sie es schon wieder nicht auf die Ketten bekommen.
Verpackt wird dieser Rettungsring für rechtsradikale Regelbrecher nun in einer großen verfassungsrechtlichen Diskussion über den einstweiligen Rechtsschutz in Wahlsachen als angeblicher Ausdruck der Rechtswegegarantie und der Sorge vor dem Schaden an unserer Demokratie.
Doch auch die heutige Debatte zeigt, dass sie sich in diesem hochkomplexen juristischen Themenfeld, das auch die Koalition in den letzten Jahren einer – wie im Koalitionsvertrag verabredet – intensiven Prüfung unterzogen haben, vollkommen verheben. Dieser Gesetzentwurf ist handwerklicher Pfusch, eine intellektuelle Zumutung und schlussendlich auch vollkommen überflüssig.
Zunächst zum Handwerk: Es ist auch fast schon blamabel, wie wenig Sie sich um die handwerklichen Fehler ihres Gesetzentwurfes scheren, wenn dieser doch ach so angeblich der große Wurf zur Abwehr schwersten Unheils ist.
Sehen Sie es mir nach, aber es wirkt als hätten die Herren Ulbrich und Meyer hier eine Buchstabenschablone mit Wachsmalstiften ausgemalt und dies als Gesetzentwurf verkauft. So war im Ausschuss keiner ihrer Abgeordneten in der Lage zu erläutern, was eine „teilweise Zurückweisung“ einer Liste im Rechtssinne eigentlich ist und was dies praktisch bedeutet. Jede Streichung eines Bewerbers oder einer Bewerberin ist eine teilweise Zurückweisung der Liste. Das wüssten Sie, wenn Sie mal die Samtleben-Entscheidung, die sich mit ihrer verbockten Listenaufstellung zur vorletzten Landtagswahl beschäftigt, gelesen hätten.
Kommen wir aber zum Kern des Problems: Ihr Gesetzentwurf verkennt in fataler Art und Weise die gegebene Verfassungslage, deren Änderung Sie nun gerade nicht vorschlagen. Ihr Gesetzentwurf ist deshalb verfassungswidrig.
Ich weiß, es ist alles sehr schwer zu verstehen, aber ich versuche es trotzdem nochmal zu elaborieren: Sofern Sie einen Rechtsbehelf im Vorfeld der Wahl etablieren und gleichzeitig die Wahlprüfung im kompletten Umfang nach Art. 45 der Verfassung weiterhin beim Landtag belassen, rauschen Sie nunmehr gesetzlich kodifiziert, auf ein verfassungsrechtliches Problem größter Tragweite zu.
Nehmen wir mal – natürlich rein hypothetisch – als illustrierendes Beispiel an, die AfD würde erneut Chaosparteitage veranstalten und nach neuerlicher Zurückweisung durch den Landeswahlausschuss nunmehr auf Grundlage dieses Gesetzentwurfes um Rechtsschutz ersuchen, dann würde – den unwahrscheinlichen Erfolgsfall vorausgesetzt – nach der Wahl nun Folgendes eintreten:
Entweder der Landtag würde eine erneute Prüfung des Sachverhaltes im Rahmen der Wahlprüfung nicht vornehmen können, weil der Verfassungsgerichtshof bereits entschieden hat. Dann wäre dies ein kalter Kompetenzentzug gegenüber dem Landtag und eindeutig dem Wortlaut nach verfassungswidrig.
Oder aber der Landtag prüft den Sachverhalt erneut und damit implizit die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes. Dann kommen Sie in eine von der Verfassungsordnung nicht gewollten, Kollision von Entscheidungen der ersten Gewalt und der dritten Gewalt des Staates, in denen man sich quasi im Kreis aufheben kann. Das wäre verfassungsrechtlich bedenklich und verfassungspolitisches Harakiri.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Sie können uns glauben: Wir haben als Koalition über die Frage einer diese gerade beschriebenen verfassungsrechtlichen Probleme umgehenden Lösung lange gerungen. Schlussendlich erfolglos. Denn es geht nicht so einfach, wie Sie es hier darstellen und erst recht nicht mit einem so lieblosen Gesetzentwurf.
Schlussendlich spricht gegen diesen Gesetzentwurf auch, dass er versucht, eine situative Ausnahmeentscheidung des Verfassungsgerichtshofes in einer schwierigen Lage zum Regelfall zu erheben.
Aus der Notwendigkeit seinerzeit aus Sicht des Verfassungsgerichtshofes zum Wohl der Demokratie ausnahmsweise eingreifen zu müssen und dabei auch den Art. 45 der Verfassung außer Acht zu lassen, wird nun die Banalisierung dieser Ausnahme, indem zukünftig jeder gestrichene Kandidat die verfassungsrechtliche Ausnahmesituation für sich reklamieren kann.
Eine derartige Perpetuierung der absoluten Ausnahme zum rechtlichen Regelfall kann und darf in unserer Verfassungsordnung nicht gewollt sein. Dabei kann schlussendlich auch dahinstehen, ob der Verfassungsgerichtshof eine solche Entscheidung wie 2019, die in der Literatur bis heute massiv umstritten ist, jemals wieder fällen würde.
Der Gesetzentwurf ist abzulehnen. Schlussendlich können wir sowieso nur hoffen, dass uns als Land und als Demokratie, der Dritte Teil der Trash-Trilogie „Die Versager – die AfD und das Wahlrecht“ erspart bleibt.
Vielen Dank!