Jahresbericht Ausländerbeauftragter – Čagalj Sejdi: Die Ausländerbehörden müssen zu Ermöglichungsbehörden werden

Redebeitrag des Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zur Unterrichtung durch den Sächsischen Ausländerbeauftragten: „Jahresbericht 2022“ (Drs 7/14656)
79. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 09.11.2023, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrter Herr Ausländerbeauftragter Mackenroth,

vielen Dank für Ihren Bericht. Er zeigt auf, wie die Situation der nach Sachsen zugewanderten Menschen ist, präsentiert Beispiele, was gut funktioniert und wo es Hürden und Schwierigkeiten gibt.

Ein wichtiges Schanier für Ankommen und Leben in Sachsen, für Integration und Partizipation sind neben der Gesellschaft auch unsere Behörden, insbesondere die Ausländerbehörden.

Doch wie Sie es auch im Bericht erwähnen, gibt es Bedarf zu Verbesserung. Sie haben es gesagt, Herr Mackenroth, bei der Vorstellung Ihres Berichts: Die Ausländerbehörden müssen zu Ermöglichungsbehörden werden. Da stimme ich Ihnen aus vollem Herzen zu. Um Integration in Sachsen gut umzusetzen, brauchen wir Behörden, die Menschen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten aufzeigen – sie dazu beraten –, was sie beantragen können, was sie brauchen, um in Sachsen zu leben und zu arbeiten. Doch dafür braucht es Veränderungen und vor allem mehr Personal.

Ein großes Problem bei den Behörden sind oftmals lange Wartezeiten.

Erst kürzlich hatte ich bei mir Wahlkreisbüro den Fall eines jungen Menschen, der seit fast einem Jahr auf Rückmeldung zu seinem Antrag auf Niederlassungserlaubnis wartet. Eine weitere Bürgerin hatte einen neuen Reisepass und bekam keinen Termin, um ihr Visum dort eintragen zu lassen. Andere warten 18 Monate auf einen Termin zur Beantragung der Einbürgerung.

Lange Wartezeiten, bis über einen Aufenthaltsstatus oder eine Verlängerung dessen entschieden wird, keine Termine, wenig Beratung und auch Unfreundlichkeit. Diese Beschwerden höre ich sehr oft, wenn ich mit Menschen über Ausländerbehörden spreche.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn wir Integration wirklich wollen, dann müssen wir hier zuerst ansetzen. Denn nur wenn der behördliche Ablauf funktioniert, kann auch alles weitere funktionieren.

Denn das hat Auswirkungen auf das Leben der Menschen, die von Entscheidungen der Ausländerbehörden abhängig sind: Jobs werden gekündigt, wenn der Aufenthaltsstatus oder die Erlaubnis zum Arbeiten nicht vorliegen. Auch eine Wohnung zu bekommen, ist schwer ohne die richtigen Papiere. Viele Menschen, auch die mit guter Bleibeperspektive, leben in andauernder Angst vor einer Abschiebung.

Wir wollen doch, dass Menschen sich schnell einleben bei uns und dass sie einer Arbeit nachgehen können – dann müssen wir diesen Weg auch ebnen.

Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie für Ihren Jahresbericht die Arbeit der Ausländerbehörden in den Fokus genommen haben.

Die Interviews zeigen aber nur die beiden Beispiele Leipzig und Vogtland, wo es – nach meiner Kenntnis – am besten läuft. Dort werden nämlich statistisch gesehen die meisten Anträge auf eine Aufenthaltserlaubnis bearbeitet und beschieden.

Ich möchte daher nur exemplarisch zwei Punkte herausstellen:

Im 1. Halbjahr 2023 wurden in ganz Sachsen 95 Anträge auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a gestellt. Das ist das Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche. Über 47 Prozent dieser Anträge wurden in der Stadt Leipzig positiv beschieden. Auf der anderen Seite gibt es Landkreise, da werden nicht einmal die zwei Anträge bearbeitet, die gestellt wurden. Und das ist nicht die einzige Auffälligkeit.

Es gibt große Unterschiede bei den Ablehnungsquoten in den einzelnen Ausländerbehörden. Diese liegen zwischen 1 und 16 Prozent zum Beispiel beim Chancenaufenthalt. Hier liegt doch einiges im Argen!

Gerade mit Blick auf diese Unterschiede hätte ich mir gewünscht, dass in der Statistik Zahlen genannt werden. Wie viele Anträge wurden gestellt, wie viele bewilligt und abgelehnt? Und wie lang sind die Bearbeitungszeiten?

Mehr noch: Wo liegen die Probleme? Was ist Ihre Einschätzung dazu?

Gegenüber der Presse war zu hören, dass es in einigen Behörden gut läuft und in anderen nicht so. Wenn man den Bericht liest, hat man nur den Eindruck: Es läuft doch alles super! ABER es läuft eben nicht alles super, das müssen wir ganz ehrlich sagen und auch endlich angehen!

Das, was ich immer wieder höre, sind: Personalmangel und zu hohe Arbeitslast. Lassen Sie uns dies endlich angehen und die richtigen Fragen stellen, um Lösungen hierfür zu finden.

Was braucht es zum Beispiel für die Personalgewinnung? Natürlich braucht es Geld. Geld, um Personal aufzustocken. Ich bin überzeugt, dass wir in der jetzigen Zeit hier gut investieren müssen.

Es braucht aber auch gute Bedingungen: Auch hierzu haben Sie sich, Herr Mackenroth, geäußert. Ich höre das auch: Personalfluktuation. Offenbar gehen die Mitarbeiter lieber in die Behörden, wo es gut läuft. Vielleicht auch deswegen, weil es mehr Spaß macht, Chancen zu geben anstatt zu blockieren.

Für ein gutes Klima unter Mitarbeitenden und Klienten braucht es auch gegenseitiges Verständnis oder im Fachdeutsch: Diversitätskompetenz. Dabei geht es darum, den eigenen Umgang mit Diversität zu hinterfragen und zu lernen, mit anderen vorurteilsfrei und gewaltfrei zu kommunizieren. Um Diversitätskompetenz zu erhöhen, müssen Mitarbeiter*innen und Führungskräfte geschult werden.

Außerdem ist es wichtig, den Anteil der Beschäftigten mit Migrationsgeschichte zu erhöhen. Eine vielfältig zusammengesetzte Belegschaft kann auf die Belange von Menschen unterschiedlichster Herkunft besser und auch effizienter eingehen. So könnten zum Beispiel Sprachbarrieren mit mehrsprachigen Mitarbeitern unkompliziert abgebaut werden.

Auch im öffentlichen Dienst wird der Fachkräftemangel spürbar werden. Wir stehen vor einer massiven Verrentungswelle. Auch hierzu haben Sie, lieber Herr Mackenroth, bereits an anderer Stelle Position bezogen. Es gäbe noch viel Luft nach oben bei einem Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der öffentlichen Verwaltung bei 0,4 Prozent. Ich bin der Meinung, es sollte unser Anspruch sein, dass sich der Anteil der Beschäftigen im öffentlichen Dienst dem Anteil in der sächsischen Bevölkerung annähert. Um diese Quote zu erhöhen, braucht es Maßnahmen, wie zum Beispiel

  • die gezielte Ansprache von Schülern mit Migrationshintergrund bereits bei der Berufsorientierung,
  • Werbekampagnen der öffentlichen Verwaltung für einen Berufseinstieg,
  • Kooperationen mit integrationspolitischen Multiplikatoren,
  • anonymisierte Bewerbungsverfahren oder
  • Ermutigungsklauseln in Stellenausschreibungen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
lieber Herr Mackenroth,

wie werden Ausländerbehörden zu Ermöglichungsbehörden? Wie schaffen wir es, dass lange Wartezeiten und Unsicherheiten über den eigenen Aufenthaltsstauts der Vergangenheit angehören?

Ich bin überzeugt, dass wenn wir Betroffenen unsere Hand reichen, wenn wir es schaffen, aktiv zu beraten und Entscheidungen am Integrationsgedanke orientieren, WENN wir wirklich Menschen auf dem Weg ins Bleiberecht unterstützen wollen, dann hilft das auch Belastungen abzumildern, da die Aktenstapel der Langzeitgeduldeten kleiner werden.

Ich kann da einige Vorschläge machen:

Wohnsitzauflagen müssen aufgehoben werden, wenn Betroffene einen Arbeitsvertrag in einer anderen Stadt haben.

Eine Arbeitserlaubnis sollte jeder erhalten, der arbeiten kann und will.

Steht die Klärung der Identität noch aus, sollte die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis Zug um Zug gegen Identitätsklärung in Aussicht gestellt werden.

Die unterschiedlichen Bearbeitungszeiten und Erteilungsquoten, die ich bereits angesprochen habe, zeigen, dass es keine einheitlichen Standards für Entscheidungen gibt. Die bestehenden ermessenslenkenden Anwendungshinweise des Innenministeriums sollten mit dem Fokus Integration und Entlastung der Ausländerbehörden überarbeitet werden. Bestehende Lücken, etwas zur Beschäftigungsduldung, müssen geschlossen werden.

Auf der operativen Ebene kann man Termine reduzieren:

  • durch digitale Dienstleistungen wie dem Einreichen von Dokumenten vor dem Termin oder
  • durch automatisierte Dokumentenausgabesysteme, wenn zum Beispiel die obligatorische Verlängerung eines Titels ansteht.

Sind mehrere Behörden an Entscheidungen beteiligt, wie zum Beispiel bei der Fachkräfteeinwanderung, kann die Einrichtung einer Koordinierungsstelle mit Vertretern aus zum Beispiel Jobcenter, Agentur für Arbeit und IHK zu kurzen Wegen und Arbeitserleichterungen führen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
lieber Herr Mackenroth,

die Ausländerbehörden in Sachsen stehen unter enormen Druck. Die Arbeitsbelastung ist zu hoch und es gibt zu wenig Personal.

Wenn wir in Sachsen die Integration der Menschen gut hinbekommen wollen, wenn wir wollen, dass Sachsen als Wirtschaftsstandort nicht unter dem Arbeits- und Fachkräftemangel leidet, dann ist es an der Zeit, dafür zu sorgen, dass die Ausländerbehörden besser aufgestellt sind als jetzt.