Härtefallfonds Ost-Renten – Schubert: Wir brauchen eine Debatte darüber, was Ausgleich und Gerechtigkeit heute auch sein können

Redebeitrag der Abgeordneten Franziska Schubert (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion DIE LINKE: „Renten- und Versorgungsunrecht Ost spürbar abfedern: Härtefallfonds des Bundes beitreten und angemessen mitfinanzieren!“ (Drs 7/12168)

65. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 01.02.2023, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE LINKE,

in jeder Legislaturperiode seit der Wiedervereinigung gab es Anläufe, hinsichtlich der DDR-Renten einen Ausgleich zu schaffen; es ist nie was daraus geworden. Jetzt ist wenigstens ein kleiner Schritt für einen Teil der Betroffenen gelungen, die nach jahrzehntelangen Debatten überhaupt noch von der Regelung profitieren können.

Der Bund hat die Errichtung einer Bundesstiftung beschlossen. Wir BÜNDNISGRÜNE sind den Kolleginnen und Kollegen in der Ampel-Regierung dankbar, nach jahrelangem Ringen ein Ergebnis und somit wenigstens eine gewisse Anerkennung erzielt zu haben. Wir sind der Auffassung, dass wir trotz der Mängel diesen kleinen Beitrag an Wiedergutmachung leisten sollten. Sich nicht zu beteiligen, halte ich nicht für richtig. Darum positionieren wir uns als BÜNDNISGRÜNE auch für eine Beteiligung Sachsens.

Lieber Herr Kollege Ritter: Rentenrecht mag Bundesrecht sein, aber ich erinnere daran, dass Sachsen schon seit vielen Jahren jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag für die Sonderrenten aus den DDR-Zusatzversorgungssystemen zahlt. In Ostdeutschland werden ca. 2,8 Mrd. Euro jährlich dafür gezahlt; der Bund und die Länder teilten sich das 40% / 60% und mittlerweile 50 %/ 50%. Allein in 2018 waren das 832 Mio. Euro. Das betrifft Leute, die bei der NVA, der Volkspolizei, der Zollverwaltung oder der Stasi gearbeitet haben und die das realsozialistische Gesellschaftsexperiment maßgeblich mit gestützt haben. Und hier ist für mich was verzerrt: Leute, die den Apparat damals gestützt haben, kriegen ihre Renten und Sachsen zahlt dafür. Und Menschen, um die es jetzt im Härtefallfonds geht, z.B. Kontingentflüchtlinge, sollen möglicherweise nicht bedacht werden? Darin lebt DDR-Unrecht weiter.

Gleichzeitig sind wir uns vollkommen bewusst, dass wir damit 1.) die Versäumnisse vorheriger Regierungen nicht annähernd aufwiegen können, dass dieser Fonds 2.) im 33. Jahr der Wiedervereinigung deutlich zu spät kommt, und dass er 3.) bei weitem nicht ausreichend ausgestattet ist und leider zuviele Berufsgruppen ausschließt, um Ungerechtigkeiten nur annähernd wiedergutzumachen. Trotzdem sollten wir diesen Beitrag leisten, denn für viele Menschen ist das dennoch viel Geld, das sie brauchen.

Zur Ehrlichkeit gehört beim Blick auf den Einigungsprozess dazu: Es gab Fehler, die Ost-West-Rentenüberleitung ist ein Teil davon. Dass diese Ungerechtigkeiten stark gefühlt werden und das seit vielen Jahren, macht etwas mit Menschen und mit ihrem Vertrauen in diese Bundesrepublik und in Politik. Das Gefühl zu haben, dass die eigene Lebensleistung nicht anerkannt wird und man dadurch nun zum Teil von Altersarmut betroffen ist, ist bitter. Es macht mich betroffen, dass Politik es nicht geschafft hat, auch nicht unter einer ostdeutschen Bundeskanzlerin, für Rentengerechtigkeit zu sorgen. Da ist viel Demütigung geschehen und das darf man nicht unterschätzen.

Das Thema der fortwährenden, strukturellen Ungleichheit zwischen Ost und West bleibt allerdings nach wie vor. Wir können politisch und finanziell nicht alle Ungerechtigkeiten aufwiegen, die geschehen sind. Aber wir können und müssen für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen Deutschlands sorgen.

Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist ein Durchschnittshaushalt West doppelt so wohlhabend wie ein Durchschnittshaushalt Ost. Die Angleichung von Löhnen und Renten: offene Baustellen. In Ostdeutschland gibt es weiterhin Aufholbedarf in der Wirtschaftskraft, bei qualifizierten Arbeitskräften und der Verringerung des Armutsrisikos. Der Anteil ostdeutscher Menschen in Regierungsstrukturen ist zu gering und dass diese Sichtweisen dann fehlen, liegt auf der Hand. Wenn wir unseren Blick schärfen, sehen wir, dass es um so viel mehr geht als ausschließlich um die Rentenüberleitung und Rentengerechtigkeit – es geht um die immer noch bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen Ost und West als Ganzes, um die Anerkennung von Lebensleistungen älterer Generationen und die Schaffung von Chancen für neue.

Für mich gehören in diese Debatte daher auch die Herausforderungen des demografischen Wandels und der sukzessive Strukturabbau, wie wir ihn beispielsweise bei den Schulschließungen in den 90er-Jahren und zur Jahrtausendwende oder beim Rückbau von Strecken erlebt haben. Meiner Meinung nach hatten und haben diese Entwicklungen auch Auswirkungen auf das Vertrauen in Demokratie. Gesamtdeutsch betrachtet, finden Transformationsprozesse nicht nur in Ostdeutschland sondern bundesweit statt – wir leben in einer Zeit des Wandels. Ich nenne das, was mehrere Generationen in den 1990er Jahren durchlebt haben, gern auch „Bruch-Kompetenz“; sie haben gelernt, mit Veränderungen umzugehen. Die spezifischen Erfahrungen, die wir in Ostdeutschland dabei gesammelt haben, sind für ganz Deutschland interessant. Wir brauchen daher eine Debatte darüber, was Ausgleich und Gerechtigkeit heute auch sein können.

Nach diesem Exkurs, der mir jedoch für diese Debatte unerlässlich scheint, möchte ich einige Worte zum Antrag und zu den Äußerungen der LINKEN in Bezug auf den Härtefallfonds verlieren: Wenn ich mir den Antrag und die Wortmeldungen Ihres Kollegen Herrn Pellmann anschaue, erschließt sich mir nicht, ob Sie den Härtefallfonds nun unterstützen oder nicht. Vielmehr scheinen Sie sich zwischen Landes- und Bundespolitik nicht einig und bleiben bei der Ausgestaltung eines sogenannten „Gerechtigkeitsfonds“ unkonkret. Denn es ist schon widersprüchlich, einerseits den Härtefallfonds auf Bundesebene komplett schlecht zu reden, während Sie auf Landesebene eine Beteiligung des Freistaates fordern. Und die Idee klingt natürlich erstmal schön, ein sogenannter „Gerechtigkeitsfonds“ – aber gerade vor dem Hintergrund der von mir geschilderten Umbrüche auf so vielen Ebenen, ist die Definition von „Gerechtigkeit“ und eines Betroffenenkreises sowie die finanzielle Untersetzung eines solchen Vorhabens das besagte „weite Feld“, das am Ende wohl mehr Enttäuschungen als Gerechtigkeitsempfinden zurücklassen würde.

Vor den genannten Hintergründen können wir dem Antrag nicht zustimmen. Auch wenn wir das Grundanliegen verstehen und teilen, bleibt für uns BÜNDNISGRÜNE die Herstellung von wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit zwischen Ost und West die weitaus größere und wichtigere Gegenwarts- und Zukunftsaufgabe.