Flüchtlingsaufnahmegesetz – Čagalj Sejdi: Wir müssen alle zusammenarbeiten, um bestmögliche Regelungen zu finden
Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der Fraktion AfD: „Zweites Gesetz zur Änderung des Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetzes“ (Drs 7/13741)
73. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 05.07.2023, TOP 7
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
wie schon so oft beim Thema Flucht in diesem Haus, zeichnet die AfD ein Szenario, das von Überlastung und Bedrohung spricht.
Ich kann mich hierzu ebenfalls nur wiederholen:
Helfen ist keine Belastung, helfen ist kein Bedrohung – Helfen ist unsere Pflicht. Als Menschen, als Europäer*in, als diejenigen, denen es gut geht und die auch ein Stück Verantwortung mittragen.
Sie sprechen von Belastung der Kommunen und machen fragwürdige Vorschläge zur Entlastung: Ihre Vorschläge zur Unterbringung entlasten weder die Kommunen noch bringen sie mehr Ordnung in die Verteilung – ganz im Gegenteil: Sie würden zur Belastung führen und sind außerdem nicht mit der geltenden Bundesgesetzgebung vereinbar. Die schreibt nämlich unverzügliche Verteilung durch die Landesbehörde vor, wenn Geflüchtete nicht mehr verpflichtet sind, in Aufnahmeeinrichtungen zu wohnen. Ihre vorgeschlagenen Änderungen konterkarieren diese Vorgabe des zügigen Wechsels. Denn nun sollen sich zuerst die Landesdirektion mit den Landkreisen und dann nochmal die Landkreise mit den Kommunen auseinandersetzen, wer wohin zugewiesen wird.
Von einer „zügigen“ Verteilung kann da sicher nicht die Rede sein, wenn sie wollen, dass Kommunen sich erst raussuchen sollen, wen sie am liebsten haben wollen.
Und ganz abgesehen davon widerspricht ein solcher Vorschlag jeglicher Menschlichkeit und Gerechtigkeit und ist diskriminierend – aber das wundert mich bei ihren Anträgen schon gar nicht mehr.
Stellen wir uns das Szenario doch mal vor:
Menschenfeinde machen Stimmung gegen allein reisende Männer. Einwohner*innen der Kommunen lassen sich von dieser Stimmungsmache mitreißen, machen Druck, wollen keine Männer in ihrem Viertel. Bügermeister*innen können diesem Druck nicht mehr stan halten, verhandeln mit der Landesdirektion, dass nur noch ausgewählte Personen in die Orte kommen sollten…
Zurück blieben dann völlig überfüllte Erstaufnahmeeinrichtungen mit Menschen, die eigentlich längst in einer Kommune ein Leben beginnen, lernen, arbeiten, teilhaben könnten und stattdessen festsitzen.
Und was machen die Kommunen, in denen sich dann die überfüllten Erstaufnahemeinrichtungen befinden? Wie werde diese die Situation stemmen? Was machen die Behörden, die die Anträge auf Umverteilung auf den Tischen stapeln? Was macht der Freistaat, der weiterhin Menschen unterbringen muss und die Erstaufnahmeeinrichtungen nicht frei bekommt?
In Leipzig hatten wir eine ähnliche Situation im Winter. In Leipzig befindet sich die Clearingstelle für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Kinder und Jugendliche ohne Eltern werden zuerst in Leipzig untergebracht und sollen dann auf die Kommunen verteilt werden. Vergangenen Winter wollten jedoch einige Kommunen die ihnen zugeteilten Kinder und Jugendlichen nicht unterbringen. So dass sie in Leipzig blieben. Währenddessen kamen aber weitere Kinder und Jugendliche nach Leipzig in die Einrichtung. Es kam soweit, dass die Einrichtung fast um 100 Prozent über ihre Kapazitäten belegt war. Es gab nicht mehr ausreichend Schlafplätze, kranke Jugendliche konnten keinen gesonderten Raum zur Genesung bekommen, es fehlte an ausreichend Betreuung, u.v.m.
Gespräche der Stadt Leipzig mit den Kommunen zur Verteilung dauerten ewig, während sich die Situation von Tag zu Tag verschlimmerte.
Ein Glück konnte bis Ende des Jahres alles gelöst werden, Kinder und Jugendliche wurden in die zuständigen Kommunen verteilt – es hat jedoch alle Beteiligten viel Kraft gekostet und letztendlich waren die geflüchteten Kinder die Leidtragenden. So eine Situation sollten wir in Sachsen nicht wiederholen. Ihr Gesetz würde jedoch dazu beitragen, dass genau dies zur Tagesordnung werden würde.
Ihr Gesetz verletzt den Gleichbehandlungsgrundsatz. Ich habe es eben schon angedeutet: Der Gesetzesentwurf bedient am Ende nur die Interessen derjenigen Kommunen, die eigentlich überhaupt keine Menschen bei sich aufnehmen wollen, und wenn sie unbedingt müssen, dann aber nur bestimmte Nationalitäten, nur bestimmte Geschlechter, nur bestimmte Religionen,…
Das ist Diskriminierung und verstößt gegen das Prinzip der Gleichbehandlung und der Antidiskriminierung in unserem Grundgesetz. Niemand darf wegen seiner Herkunft, seines Geschlechts, seiner Religion ungleich behandelt werden!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Flucht, Hilfe, Unterbringung, das sind keine leichten Aufgaben für eine Kommune – doch es betrifft uns alle: die Kommunen, den Freistaat, den Bund und in erster Linie die Geflüchteten.
Wir müssen in Sachsen zusammenarbeiten und uns gegenseitig unterstützen, um bestmögliche Regelungen zu finden. Und das tun wir auch! Spaltung, Interessen einzelner, Ausgrenzung verschlimmern nur, sie verbessern nichts.