Fachkräftemangel – Melcher: Die beste Werbung für den Wirtschaftsstandort Sachsen ist Weltoffenheit und Vielfalt
Redebeitrag der Abgeordneten Christin Melcher (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der AfD-Fraktion: „Bildungsverfall stoppen – Ausbildungsreife für unsere Fachkräfte von morgen sicherstellen“ Drs 7/15991
86. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 21.03.2024, TOP 9
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
die AfD legt heute einen Antrag vor, um den sogenannten „Bildungsverfall“ zu stoppen. Dabei ist Bildung hier gleichbedeutend mit Ausbildungsreife. Schlechte Pisa-Ergebnisse, leere Ausbildungsplätze, orientierungslose junge Menschen – das ist alles ausschließlich nicht gut für die Wirtschaft!
Mit schlichter Verwertungslogik schlägt die AfD in der Folge einige Maßnahmen vor, die die jungen Menschen passfähiger machen sollen für den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.
Gegen Wohlstandsverlust, Arbeitslosigkeit und Sozialleistungsbezug!
Dabei schreckt die AfD auch nicht davor zurück, junge Menschen aufspüren zu wollen, die nicht selbst aktiv nach Unterstützung suchen. So fordert sie Einsicht in Daten junger Menschen, die – Zitat – „nach dem Verlassen der Schule nicht auf die Angebote der zuständigen Hilfeträger reagieren“.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mir graut es bei der Vorstellung, die AfD könne künftig darüber befinden, was gut für Jugendliche ist und was nicht; ihnen einen Platz zuweisen wollen im Beruf und im Leben. Das ist paternalistisch, das ist entmündigend, das ist gruselig!
Nicht minder gruselig ist das Bildungsverständnis, das aus diesem Antrag spricht. Da ist von „verbindlichen LEHRinhalten“ schon in Kitas die Rede, von einer „Rückkehr zum Leistungsprinzip“ und von „Vermittlungswirksamkeit“.
Dabei ist Bildung so viel mehr.
Bildung soll Menschen ein selbstbestimmtes Leben und soziale Teilhabe in einer komplexen Welt ermöglichen.
Wir brauchen kluge, mündige Bürgerinnen und Bürger, um unsere Gesellschaft stabil und zukunftsfähig zu machen.
Ebenso braucht die Wirtschaft in unserem Land gut ausgebildete Fachkräfte. Natürlich braucht es dafür gesicherte Grundkompetenzen. Alle Kinder sollten am Ende der Grundschulzeit sicher lesen, schreiben und rechnen können.
Sie sollten das Lernen gelernt haben. Genau deshalb hat das Kultusministerium in der vergangenen Woche Veränderungen in der Stundentafel der Grundschulen beschlossen. Wir begrüßen die Stärkung der Basiskompetenzen. Sie sind die Grundlage für einen erfolgreichen Bildungs- und Lebensweg. Sie sind die Grundlage für Selbstbestimmung, für Mündigkeit, für Bildungsgerechtigkeit. Selbstredend kommen diese bildungspolitischen Ziele im AfD-Kosmos nicht vor.
Aber selbst die Ziele, die im Antrag vorkommen, werden mit der AfD nicht zu erreichen sein, ganz im Gegenteil.
Wenn sich die AfD ernsthaft um die sächsische Wirtschaft sorgen würde, sollte sie aufhören, das gesellschaftliche Klima in unserem Land zu vergiften.
Natürlich überrascht es in diesem Hohen Hause niemanden, dass wir BÜNDNISGRÜNE einen solchen Satz sagen. Mir ist auch völlig klar, dass die Botschaft SIE längst nicht mehr erreicht. Aber vielleicht sollten Sie genauer hinhören, wenn sich die äußern, für deren Belange Sie angeblich sprechen, nämlich die Wirtschaft selbst.
Der Branchenverband Bitkom veröffentlichte ein Papier unter der Überschrift „AfD-Positionen schaden Deutschlands Digitalwirtschaft“. Im Artikel heißt es: „Unter den Bedingungen der AfD-Politik würde sich etwa der IT-Fachkräftemangel massiv verschärfen.“
Deutschland müsse nicht nur als Wirtschaftsstandort, es muss auch als Lebensmittelpunkt hochattraktiv sein. „Wir müssen Willkommenskultur und Vielfalt leben und fördern. […] Auch beim Thema Bildung stehen die Positionen der AfD den Bedarfen deutscher Unternehmen entgegen. […] Eine rückwärtsgewandte Politik, die Deutschland von den globalen Entwicklungen der digitalen Wirtschaft entkoppeln will und Grenzen hochzieht, wo wir Offenheit brauchen, ist eine massive Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland“ – Zitat Ende.
Der Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing, erklärte, die Konzepte der AfD förderten einen wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands. Die AfD lehne Zuwanderung ab, obwohl Fachkräfte fehlten. Sie sei für eine Abschottung, obwohl der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands auf der Globalisierung fuße.
In einem weiteren Artikel wird Joachim Ragnitz, Vize-Chef beim Ifo-Institut in Dresden zitiert: „Das Image einer Region ist nur ein Faktor von vielen für eine Investitionsentscheidung“. Doch es könne für ein Unternehmen nach der grundsätzlichen Standortentscheidung für Deutschland mitentscheidend sein, wie stark die Ausländerfeindlichkeit, repräsentiert durch Rechtspopulisten, in einer Region ist. „Ohne Forschung und Entwicklung kann ein Bundesland wie Sachsen nicht erfolgreich sein“. Gerade diese Felder seien in der Wirtschaft sehr international geprägt. Allein aus diesen Gründen sei es wichtig, „dass Unternehmen nach außen Stellung gegen Rechtspopulisten beziehen“.
Auch viele sächsische Unternehmen fürchten angesichts der jüngsten Umfrageergebnisse für die AfD einen Imageschaden für Sachsen, wird der Verein Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen deutlich. Dem Verein gehören rund 100 Unternehmen an, darunter etwa Industrie- und Handelskammern, der Chiphersteller Infineon, VW Sachsen, die Mitteldeutsche Flughäfen AG oder Sachsen Energie. Es heißt, es werde zunehmend schwieriger, Menschen für Sachsen als Lebens- und Arbeitsort zu begeistern und davon zu überzeugen, „dass die Sachsen durchaus gastfreundliche Menschen sind.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn sich die AfD hier hinstellt und versucht, sich als Sprachrohr der sächsischen Wirtschaft zu generieren, ist das schlichtweg dreist und anmaßend. Die beste Werbung für den Wirtschaftsstandort Sachsen ist Weltoffenheit und Vielfalt – all das, wofür die AfD gerade NICHT steht.
Die Wirtschaft würde Ihren Antrag ablehnen und wir werden dies ebenso tun.
Vielen Dank.