Berufsorientierung in Schulen – Melcher: Wir meistern die Herausforderungen unserer Zeit nicht mit neuen Schulfächern
Redebeitrag der Abgeordneten Christin Melcher (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD: „Den Fachkräftemangel in Industrie und Handwerk aktiv bekämpfen – das Interesse an einer dualen Berufsausbildung gezielt auch am Gymnasium fördern“ (Drs 7/10970)
63. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Freitag, 16.12.2022, TOP 8
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
der vorliegende Antrag fügt sich ein in eine Reihe ähnlich gelagerter Anträge der AfD-Fraktion zur Vermittlung von Wirtschaftswissen in der Schule.
Unter dem Slogan „Ökonomie statt Ideologie“ warnt die AfD unermüdlich vor der sogenannten Überakademisierung. Sie schießt gegen die sächsischen Gymnasien und – mal mehr, mal weniger offen – gegen politische Bildung an sächsischen Schulen. So auch mit diesem Antrag.
Die AfD will die Stundentafel der Gymnasien überarbeiten und Platz machen für ein Fach mit technischen, wirtschaftlichen und berufsvorbereitenden Inhalten. Unterrichten sollen dieses Fach entsprechend fortgebildete Lehrkräfte für Gemeinschaftskunde.
Das lässt nur einen Schluss zu: Wieder einmal soll bei der politischen Bildung gestrichen werden, um die ökonomische Bildung zu stärken. Wieder einmal wird der politischen Bildung an Schulen jedwede Berechtigung abgesprochen.
Und wieder einmal sind Sie es, werte Damen und Herren in der AfD-Fraktion, die Ideologie betreiben und niemand sonst!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Berufsorientierung ist eine Querschnittsaufgabe und immanenter Bestandteil aller sächsischen Schulen. Alle Schulen, selbstverständlich auch die Gymnasien, haben ein eigenes Berufsorientierungs-Konzept.
An Gymnasien wurde die Berufsorientierung zuletzt deutlich gestärkt, etwa durch die Praxistage, den fächerverbindenden Grundkurs „Auf dem Weg ins Berufsleben“, ein Berufsorientierungs-Budget, Potenzialanalyse und Werkstatttage.
2018 wurden „Bausteine zur Beruflichen Orientierung am Gymnasium in Sachsen“ entwickelt, ebenso ein Handbuch mit Unterrichtseinheiten. Damit kommen die Gymnasien ihrer schulgesetzlichen Verpflichtung und ihrem originären Auftrag nach: Die Studierfähigkeit ebenso zu sichern wie die Voraussetzungen für eine berufliche Ausbildung zu schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die AfD gibt die Zielstellung vor, den Fachkräftemangel in Handwerk und Industrie lindern zu wollen – durch mehr Auszubildende in der dualen Berufsausbildung.
Sie verkennt dabei, dass längst alle wirtschaftlichen wie auch gesellschaftlichen Bereiche mit einem akuten Fachkräftemangel zu kämpfen haben.
Dieser Fachkräftemangel hat demografische und strukturelle Hintergründe. Er ist nur sehr sekundär Folge von Wissenslücken der Schülerinnen und Schüler, liebe Kolleginnen und Kollegen. Gründe finden sich sicher auch in Image und Attraktivität der Berufsausbildung – aber auch des Freistaates Sachsen insgesamt.
An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass Fremdenfeindlichkeit von der sächsischen Wirtschaft als eines der großen Probleme beim Wettbewerb um Arbeitskräfte wahrgenommen wird.
Vielleicht sollte die AfD ihre Bemühungen darauf fokussieren, nicht weiter das Klima in Sachsen zu vergiften – das wäre ein echter Beitrag zur Fachkräftesicherung, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich weiter ergänzend: Bis zur Allgemeinen Hochschulreife müssen die Abiturientinnen und Abiturienten eine vorgegebene Mindeststundenzahl erbringen. Dies führt bereits jetzt und trotz erfolgter Reduktion zu einer hohen Wochenstundenzahl.
Ich bin überzeugt: Wir meistern die Herausforderungen unserer Zeit nicht mit neuen Schulfächern. Diese Diskussion ist für mich völlig aus der Zeit gefallen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
was wir brauchen, ist:
- eine Synchronisation der Arbeit im Bereich Berufs- und Studienorientierung,
- eine geschlechtersensible Berufsorientierung,
- mehr Durchlässigkeit zwischen der beruflichen und der akademischen Bildung,
- eine weitere Professionalisierung der Berufsanerkennung und
- Zuwanderung.
Was wir nicht brauchen, sind Anträge wie den vorliegenden der AfD-Fraktion.
Wir werden den Antrag ablehnen. Vielen Dank.