Arzneimittelsicherheit – Kummer: Wir müssen unsere Zulieferer und die Produktionsstätten stärker diversifizieren

Redebeitrag der Abgeordneten Ines Kummer (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD: „Strukturwandel nutzen – Sachsen zur Apotheke Europas machen und Arzneimittelsicherheit herstellen“ (Drs 7/12475)
67. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 15.03.2023, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wie in der vergangenen Plenarsitzung dürfen wir uns heute, dank der AfD, wieder mit einem Thema beschäftigen, welches wir eigentlich schon zu genüge diskutiert haben.

Es hätte gereicht, wenn Sie sich die Reden der Aktuellen Debatte vom 1. Februar dieses Jahres noch einmal genau angeschaut hätten. Aber wir werden natürlich nicht müde, Ihnen auch zum xten Mal zu erklären, wie die Versorgung mit Arzneimitteln hierzulande funktioniert.

Ich möchte mich deshalb vorab entschuldigen, wenn ich mich hier an einigen Stellen wiederhole, aber viel Neues gibt es eben nicht.

Im Januar 2023 wies das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Lieferengpässe für circa 300 Humanarzneimittel (ohne Impfstoffe) in Deutschland hin. Bei 60.000 verschiedenen Arzneimitteln, die über das Jahr hinweg über die Apotheken abgegeben werden, ist das allerdings noch keine besorgniserregende Zahl. Problematisch ist eher, dass einige Medikamentengruppen insgesamt schwer lieferbar waren und sind.

Hierbei handelt es sich nicht um einen umfassenden Lieferengpass. Meistens sind die Medikamente nach wenigen Wochen wieder verfügbar.

Ich möchte Sie auch erneut darauf hinweisen, dass die Möglichkeiten des Freistaates in Bezug auf Arzneimittellieferengpässe begrenzt sind. Denn dies liegt, wie sie eigentlich wissen sollten, im Verantwortungsbereich des Bundes und der EU. Aber es passt natürlich in Ihre Programmatik, Bundesthemen hier auch auf Landesebene auszuschlachten.

Nichtsdestotrotz hat es bereits auch aufgrund der Initiative des Freistaates beim Bund Änderungen im Arzneimittelgesetz gegeben, um zukünftigen Lieferengpässen entgegenzuwirken.

So wurde im Arzneimittelgesetz zum Beispiel ein Sicherstellungsauftrag der pharmazeutischen Industrie festgeschrieben und eine Meldepflicht von Lieferengpässen durch die pharmazeutischen Unternehmer an Krankenhäuser eingeführt. Auch wurde seitens des Bundesgesundheitsministeriums erst im Dezember ein Eckpunktepapier zu dieser Thematik vorgelegt. Dieses sieht eine deutlich bessere Bezahlung für bestimmte Generika vor, also für Nachahmer-Medikamente von Arzneimitteln, deren Patentschutz bereits ausgelaufen ist, die aber eine wichtige Rolle in der medizinischen Grundversorgung spielen, etwa Paracetamol oder Ibuprofen.

Die Auslagerung der Produktionsstätten bestimmter Arzneimittel und die dadurch entstandene Abhängigkeit von einzelnen Ländern war sicherlich nicht klug. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die komplette Produktion eines Medikamentes in Europa teurer ist.

Der Pharmahersteller Apogepha prüft gerade, ein weiteres Medikament künftig komplett in Europa zu produzieren. Dazu sagt Frau Liebig, die Sprecherin von Apoepha schlicht: „Das ist dann aber natürlich teuer“.

Eine komplette Produktion in Europa würde also eine höhere Zuzahlung für Patientinnen und Patienten bedeuten und dementsprechend auch, dass ärmere Menschen sich manche Medikamente nicht mehr leisten könnten.

Eine teilweise Rückholung der Produktionsstätten muss dagegen durchaus in Betracht gezogen werden. Dies bedarf allerdings Zeit für den Aufbau von Kapazitäten sowie Know-how und wird vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels keine einfache Aufgabe.

Die Produktion von Arzneimitteln inklusive Genehmigungsverfahren vom ersten Arbeitsschritt bis zum fertigen Medikament dauert oft mehrere Jahre, so dass eine schnelle Reaktion bei Engpässen schwierig sein wird. So geht es im Übrigen nicht nur uns, sondern auch unseren Partnerinnen und Partnern innerhalb der EU.

Wir alle sind in dem Irrglauben unterlegen gewesen, dass ein günstiger Preis die wichtigste Maßgabe bei der Wahl der Produktionsstätten sei. Dass dies auf Kosten der Liefersicherheit geht und zu einem Wettbewerb unter den nachfragenden Ländern führt, haben wir nicht bedacht.

Der richtige Weg kann deshalb nur sein, unsere Zulieferer und die Produktionsstätten zu diversifizieren, um bei Ausfällen und Nachfragespitzen auf mehrere Quellen zurückgreifen zu können.

Dabei müssen wir uns eng mit unseren Partnerinnen und Partnern in der EU abstimmen und die Zusammenarbeit intensivieren. Hierbei kann Sachsen tatsächlich einen Beitrag leisten. Die unrealistischen und populistischen Forderungen der AfD tun dies allerdings nicht.

Der Titel suggeriert ja, dass jetzt im Strukturwandelprozess alles dafür getan werden muss, um Arzneimittelsicherheit mit Strukturwandelgeldern herzustellen. Aber wie Sie sich das konkret vorstellen, davon ist nicht viel zu lesen.

Die Produktion von Arzneimitteln dauerhaft in den Strukturwandelregionen in Sachsen anzusiedeln, ist in vielerlei Hinsicht schwierig. Das Strukturstärkungsgesetz adressiert bereits Handlungsfelder für Strukturwandelregionen, wozu die Produktion von Arzneimitteln nicht gehört – und die direkte Wirtschaftsförderung ist innerhalb des Strukturstärkungsgesetzes nicht vorgesehen.

Aber wenn ich nun einmal beim Strukturwandel bin, sei noch Folgendes angemerkt: In Delitzsch entsteht im Rahmen des Strukturwandels ein neues Großforschungszentrum für Chemie. Das CTC – das Center for the Transformation of Chemistry. Bis 2038 sind 1,25 Milliarden Euro vorgesehen. Die Finanzierung ist dauerhaft, also auch darüber hinaus vereinbart. Es sollen 1.000 neue Arbeitsplätze entstehen.

Der Krieg in der Ukraine und die fehlenden Rohstoffe haben einmal mehr drastisch die Probleme der Chemiebranche offengelegt. Dies will das zukünftige Großforschungszentrum ändern. Ich hege die große Hoffnung, dass auch die Arzneimittelbranche davon profitieren wird.

Sie verlangen außerdem in Ihrem Antrag eine für zwei Monate ausreichende Reserve für alle verschreibungspflichtigen Medikamente.

Eine maßvolle Bevorratung von essenziellen Medikamenten ist tatsächlich sinnvoll, ist wie aber, wie das letzte Mal bereits ausgeführt wurde, auch immer totes Kapital, das Kompensationsforderungen nach sich ziehen kann.

Außerdem muss ich mich an die pöbelnde AfD erinnern, die es gar nicht fassen konnte, dass wir lebensrettende Masken bevorratet haben und mit Schaum vorm Mund deren Vernichtung nach Ablauf der Haltbarkeit kritisiert hat.

Das passt nicht zusammen und lässt erahnen, was hier los sein wird, wenn die ersten bevorrateten Medikamente ablaufen würden.

Von daher lehnen wir Ihren Antrag selbstverständlich ab!