Datum: 18. Dezember 2024

Aktuelle Debatte Migration – Schubert: Humanität und Ordnungspolitik sind kein Widerspruch

Redebeitrag der Abgeordneten Franziska Schubert (BÜNDNISGRÜNE) zur Ersten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion CDU zum Thema: „Humanität und Ordnung: Irreguläre Migration begrenzen, Integration unterstützen.“

4. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 18.12.2024, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrte Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

die heutige Debatte trägt den Titel „Humanität und Ordnung: Irreguläre Migration begrenzen, Integration unterstützen“.

Beim Debattentitel habe ich kurz gestutzt, denn es war der ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, der genau diesen Wortlaut ins Zentrum grünen Migrationsverständnisses stellte. Offensichtlich hat der CDU das gut gefallen – Ausdruck der neuen Kultur des Miteinanders?

Meine Damen und Herren,
Migration ist so alt wie der Mensch selbst; solange es uns Menschen gibt, wandern wir auf dieser Erde herum. Die Auswirkungen des Klimawandels haben die Lebensbedingungen in vielen Gebieten der Welt zerstört und zu lebensfeindlichen Gebieten gemacht. Es ist auch unser Lebensstil, unser Konsumhunger, der dafür verantwortlich ist. Dieser ursprüngliche Fachbegriff aus der Humangeografie wurde in den vergangenen Jahren massiv aufgeladen mit Emotionen. Es ist kurz vor Weihnachten. In der Zeit der Geburt Jesu waren es schwierige Zeiten. Es ging um Wanderungen, Volkszählungen und auch darum, wie Menschlichkeit über Vertreibung gesiegt hat. Ich dachte erst, die CDU traut sich, dem C in ihrem Namen gerecht werden zu wollen, aber nun…

Und ja, es sind vor allem die Kinder, die unter Flucht, Krieg und Vertreibung leiden. Und bevor hier wieder die Phrasen fliegen, bitte ich Sie, sich vorzustellen, was Sie tun würden, wenn es Ihre Kinder wären. Das ist nicht trivial. Das ist das Wichtigste – das Leben von Kindern zu schützen.

Sprechen wir also heute nicht über emotionalisierte Phrasen, sondern über die konkreten Herausforderungen, vor denen Sachsen steht – und über Lösungen, die Kommunen entlasten, geflüchtete Menschen fair behandeln und unser Land voranbringen.

Betrachten wir zuerst die Lage in unseren Kommunen: Unsere Kommunen stehen vor großen Herausforderungen – das ist unbestritten. Die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten, der Ausbau von Wohnraum, die Bereitstellung von Bildungs- und Integrationsangeboten: All das ist eine immense Aufgabe. Was es braucht, ist:

  1. Finanzielle Unterstützung für Kommunen durch eine Verstetigung der Bundesmittel und Anpassung der Kostenpauschalen
  2. Koordinationszentren in allen Landkreisen, die Ehrenamtliche, Wirtschaft, Integrationsprojekte und Behörden besser vernetzen
  3. Neue Wege in der Ausbildung – Bleibegarantien für Azubis in der heimischen Wirtschaft

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
während wir hier debattieren, fehlen in Sachsen tausende Fach- und Arbeitskräfte. Die Wirtschaft, von der Pflege über das Handwerk bis hin zur IT-Branche, sucht händeringend nach Menschen, die arbeiten wollen. Viele der Geflüchteten, die zu uns kommen, bringen die Motivation und Fähigkeiten mit, die wir dringend brauchen. Doch anstatt ihnen Perspektiven zu bieten, werden sie durch Bürokratie und restriktive Regelungen ausgebremst.

Eine bessere Integration ist nicht nur eine Frage der Humanität, sondern auch eine Chance für unsere Wirtschaft. Wir schlagen vor:

  1. Schnellere Arbeitsgenehmigungen für Geflüchtete, damit sie rasch in den Arbeitsmarkt eintreten können.
  2. Betriebspraktika und Ausbildungsprogramme, die Geflüchteten den Zugang zu Berufen erleichtern, in denen Fachkräfte fehlen.
  3. Kostenfreie und niedrigschwellige Sprachkurse: Ohne ausreichende Sprachkenntnisse können sich die Menschen weder im Alltag verständigen noch die bürokratischen Anforderungen, die an sie gestellt werden, verstehen. Und ohne Sprachkurse ist der Zugang zum Arbeitsmarkt vorerst versperrt.
  4. Berufsqualifizierungsprogramme, die ausländische Abschlüsse schneller anerkennen und gezielt in Branchen wie Pflege, Handwerk und IT vermitteln.
  5. Schul- und Kita-Angebote, die Geflüchteten Kindern einen schnellen Einstieg in unser Bildungssystem ermöglichen und ihre Eltern entlasten. Klar ist, dass auch hier der Aufgabe das Geld folgen muss.

Humanität und Ordnungspolitik sind kein Widerspruch. Die Debatte, ob Humanität und Ordnung vereinbar sind, ist eine rein theoretische. Humanität bedeutet, Menschen in Not zu helfen. Ordnung heißt, diese Hilfe in klaren, rechtsstaatlichen Verfahren zu organisieren. Diese Balance gelingt nur, wenn wir eine Politik verfolgen, die die Werte unseres Grundgesetzes mit der Realität vor Ort verbindet. Es hat sich hier viel getan.

In Sachsen wurde das Sächsische Integrations- und Teilhabegesetz verabschiedet und auf Bundesebene wurden sehr viele ordnungspolitische Maßnahmen umgesetzt: die Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und des Asylverfahrens, das Chancenaufenthaltsrecht, die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, das Rückführungsverbesserungsgesetz und den verbesserten Zugang zu Arbeit für geflüchtete Menschen und Geduldete.

Eine klare und faire Migrationspolitik muss auch schwierige Themen benennen – dazu gehört die Frage der Rückführung von Straftätern. Straftaten dürfen weder relativiert noch verharmlost werden, egal wer sie begeht. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass auch hier die Prinzipien des Rechtsstaats gewahrt bleiben. Rückführungen dürfen nur unter Berücksichtigung der Sicherheitslage im Herkunftsland erfolgen. Niemand darf in Folter oder lebensbedrohliche Situationen abgeschoben werden. Wir setzen uns dafür ein, dass Straftäter konsequent verfolgt und, wenn möglich, zurückgeführt werden – immer im Rahmen der geltenden Menschenrechte. Alles andere wäre ein Bruch mit den Grundwerten, die unsere Demokratie ausmachen.

Und damit möchte ich wenigstens ein paar Worte zur aktuellen Lage in Syrien sagen. Besonders deutlich wird unsere Verantwortung dieser Tage, wenn wir nach Syrien blicken. Natürlich konnten einzelne CDUler nicht der Versuchung widerstehen, sofort nach Abschiebungen und ähnlichem zu krakeelen. Die Situation dort bleibt schwierig – nicht nur wegen der Hinterlassenschaften des Assad-Regimes, sondern auch durch die Eskalationen in den kurdischen Gebieten. Wie Franziska Brantner, Bundesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kürzlich betonte, werden die kurdischen Regionen in Nordsyrien durch türkische Angriffe destabilisiert, während gleichzeitig IS-nahe Gruppen wieder erstarken.

Ich warne also vor vorschnellen Äußerungen und rate dazu, die Lage zu beobachten und dann zu bewerten. Wir haben in Sachsen zum Beispiel 1.500 syrische Ärztinnen und Ärzte – die können wir nicht entbehren wollen.

Wir können Humanität und Ordnung miteinander vereinbaren. Das gelingt, wenn wir wegkommen von polarisierenden Parolen und hin zu konkreten Lösungen. Es ist doch nicht der Geflüchtete, der uns den Zahnarzttermin vor der Nase wegschnappt! Es ist der Syrer, dessen Kinder hier geboren sind und zur Schule gehen, der unsere Zähne repariert. Darauf verzichten können wir schon längst nicht mehr.

Und gerade weil wir kurz vor Weihnachten stehen, wünsche ich mir, dass wir uns auf dessen Ursprung besinnen. Es ist die Barmherzigkeit, die das Grundmotiv der christlichen Weihnacht ist. In diesem Sinne – handeln wir auch in unserem Reden danach