Aktuelle Debatte Grenzregionen – Hammecke: Wir sollten das Regionalforum zwischen Sachsen und Tschechien verstetigen

Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zur Ersten Aktuellen Debatte der Fraktion BÜNDNISGRÜNE: „Europäische Integration vor Ort: Potentiale der Grenzregionen nutzen – deutsch-tschechisches Regionalforum verstetigen“
80. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 14.12.2023, TOP 1

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Abgeordnete,

454 Kilometer Grenze teilt sich Sachsen mit Tschechien, mehr als mit jedem anderen Land. In einer Zeit, in der Herausforderungen aber keine nationalen Grenzen kennen, rückt die Zusammenarbeit immer stärker in den Vordergrund. Sowohl Sachsen als auch Tschechien stehen vor ähnlichen Herausforderungen, die auch Chancen zur Entwicklung und Stärkung unserer Regionen bieten.

Doch wie steht es um das Zusammenwachsen beider Länder im geeinten Europa? Wurden bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Entsendung ins Nachbarland tatsächlich alle bürokratischen Grenzen eingerissen oder rauben A1-Bescheinigungen den letzten Nerv? Haben Grenzgänger die gleichen Rechte, beispielsweise beim Kurzarbeitergeld? Wie mobil sind wir über die Grenze hinweg, jenseits der größeren Bahnverbindungen? Fährt überhaupt ein Bus oder eine Bahn in den Nachbarort diesseits des Grenzsteins? Welches Krankenhaus darf bzw. muss ein Rettungswagen im Notfall ansteuern, das Nächstgelegene das im Zweifelsfall in Tschechien liegt?

Wie werden diese und viele weitere kleine und große Herausforderungen in der gemeinsamen Grenzregion mit Tschechien gelöst? Wer ist zuständig? Ist der Freistaat Bayern da schon weiter? Sie merken es an der Fragestellung, meine sehr verehrten Damen und Herren, genau da liegt der Finger in der Wunde. Und an diesem Punkt setzte das erste Tschechisch-Deutsche Regionalforum an.

Am 30. November und 1. Dezember 2023 fand dieses in Chemnitz statt, welches auf Einladung der Staatsministerin für Europa und Klima, Dr. Anna Lührmann, und unter der Schirmherrschaft der Bundesaußenministerin, Annalena Baerbock, und ihres tschechischen Amtskollegen, Jan Lipavský, erfolgte. Hier sprachen Akteur*innen der lokalen, regionalen, nationalen und europäischen Ebene aus Deutschland und Tschechien über Herausforderungen der deutsch-tschechischen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

Zu den Akteur*innen gehören u.a. Vertreter*innen von Regionen und Kommunen, Interreg-Projektpartner*innen, Verwalter*innen von Kleinprojektefonds, Vertrer*innen von Euroregionen sowie Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Neben der Vernetzung der verschiedenen Akteur*innen wurde der Fokus des Weiteren auf die Belange der Grenzregionen gerichtet.

Werte Abgeordnete,
erlauben Sie mir hier, ein Thema herauszugreifen: die Mobilität. Leider ist es um die grenzüberschreitende Mobilität zwischen Deutschland und Tschechien nur bedingt gut bestellt. Bus- und Bahnverbindungen enden noch zu oft an der deutsch- tschechischen Grenze, statt die Potenziale von grenzüberschreitenden Durchgangsverkehren zu erschließen. Grenzüberschreitender ÖPNV abseits von Hauptrouten oder von saisonalen Angeboten sind zu selten.

Grenzüberschreitende Bahnstrecken fallen brach, insbesondere die deutschen Abschnitte. In Bayern wurden auf den ehemals grenzüberschreitenden Bahnstrecken Radwege errichtet, die eine Reaktivierung illusorisch machen. Vom Anschluss an das in Tschechien bereits größtenteils elektrifizierte Bahnnetz ganz abgesehen. Möglich Elektrifizierungs-, Ausbau- oder Reaktivierungsprojekte von grenzüberschreitenden Bahnverbindungen, wie Plauen-Cheb, Holzhau-Moldava, Seifhennersdorf-Rumburk oder Rumburk-Ebersbach werden leider nur schleppend vorangebracht.

Dass solche grenzüberschreitenden Projekte überaus erfolgreich sein können, beweist die Nationalparkbahn und die Wiederaufnahme des Zugverkehrs zwischen Bad Schandau-Sebnitz-Rumburk. Der ostsächsische Raum bietet darüber hinaus weiteres Potenzial zum Ausbau der Eisenbahnverbindungen in unser Nachbarland, sogar im Fernverkehr. Tschechien ist mehr als interessiert, die Verbindung von Prag-Liberec nach Görlitz und damit weiter Richtung Berlin zu stärken und in das europäische TEN-Ergänzungsnetz aufnehmen zu lassen. Leider hat die deutsche Seite den angefragten Korridor über Zittau weder bei der EU angemeldet, noch den angefragten Letter of Intent unterzeichnet. Die Folge: Die Streckenführung bis Görlitz soll auf polnischer Seite entlanggeführt werden und Zittau droht von internationalen Verkehrsströmen endgültig abgekoppelt zu werden. Die sächsisch-deutsche Stillhaltetaktik erweist sich nun als großer verkehrspolitischer Fehler.

Allein auf Prestigeprojekte wie die Neubaustrecke Dresden-Prag zu setzen und die übrigen grenzüberschreitenden Verbindung links liegen zu lassen, ist fatal. Wir brauchen ein dichtes und gutausgebautes Netz mit Bahnverbindungen über die gesamten Grenzräume hinweg und nicht nur eine zentrale Hauptroute, die alle Verkehre bündeln soll.

Unser Nachbarland Tschechien ist uns auch da eine Nasenlänge voraus. Hier entscheiden nicht wirtschaftliche Gesichtspunkte über die Bedienung einer Bus- oder Bahnverbindung, sondern politische Grundsätze zur Erreichbarkeit für Alltagsmobilität oder Tourismus. ÖPNV, aber auch Fernverkehr werden nur bedingt wirtschaftlich sein. Das deutsche allumfassende Diktat der Wirtschaftlichkeit schwächt die vernachlässigten Grenzräume, statt politischen Ziele mutig umsetzen.

Doch es gibt nicht nur Herausforderungen in der Zusammenarbeit, sondern ebenso außerordentliche Potenziale, wie ich in der nächsten Rederunde gerne hervorheben möchte.

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Abgeordnete,

die Verbindung zu Tschechien geht über die bloße geografische Nähe hinaus. Die sächsisch-tschechische Zusammenarbeit fußt auf der gemeinsamen Erklärung von 1992. In diesen über 30 Jahren können wir auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit zurückblicken, die viele Bereiche umfasst. Gemeinsame kulturelle Veranstaltungen und Austauschformate haben nicht nur zu einem vertieften Verständnis, sondern auch zu einer intensiveren Verbundenheit zwischen den Regionen geführt.

Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Sachsen und Tschechien ist heute stärker denn je. Für Sachsen war Tschechien 2021 mit Abstand das wichtigste Importland. Sowohl die Zahl der Grenzpendler*innen aus Tschechien als auch die Zahl der in Sachsen lebenden Tschech*innen ist in den vergangenen Jahren signifikant angestiegen. Doch auch 16 Jahre nach dem Schengen Beitritt von Tschechien läuft noch lange nicht alles rund. Kurzfristige Problemlösungen scheitern vielfach an unklaren Zuständigkeiten und bürokratischen Hürden.

Wie bedeutsam und notwendig eine enge Kooperation auf Regierungsebene, aber auch auf kommunaler Ebene ist, zeigt sich derweil nicht nur bei den grenznahen Landkreisen und den Euroregionen in der Wirtschaft, sondern wurde uns auch deutlich von der Corona-Pandemie und den Waldbränden im Nationalpark Sächsische Schweiz vor Augen geführt.

Die sächsisch-tschechische Zusammenarbeit birgt ein enormes Potenzial, die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger, vor allem in Grenzregionen, zu verbessern. Deshalb haben wir als Koalition einen Antrag verabschiedet, infolgedessen ein strategisches Konzept für die Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit des Freistaates Sachsen mit Tschechien vorgelegt wurde. In diesem Zusammenhang sind uns die Interessen der Menschen in den Grenzregionen, eine breite Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, Dialogformate sowie die Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen und Ebenen besonders wichtig.

Allgemein liegt uns BÜNDNISGRÜNEN die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Herzen. In diesem Kontext spielen Euroregionen eine besondere Rolle. Das Interreg-Programm (aktuell 2021-2027, wird aus dem EFRE finanziert) ermöglicht die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des gemeinsamen Grenzraums sowie die Begegnung der Menschen beiderseits der Grenze zu intensivieren. Neben dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gehört das Interreg-Programm zu den wichtigsten Förderprogrammen, um die deutsch-tschechische Zusammenarbeit zu stärken.

Aber Förderprogramme, gemeinsame Projekte sowie Euroregionen sind allein nicht ausreichend. Was es braucht, sind institutionalisierte Austauschplattformen. Diese sind für die Vernetzung der Akteur*innen essenziell, um die Potentiale der Grenzregionen auch wirklich nachhaltig zu nutzen und zu intensivieren, wie sich am Beispiel der deutsch-französischen Zusammenarbeit zeigt.

Seit 2016 arbeitet hier der Regionalrat Grand Est (Frankreich) – Baden-Württemberg erfolgreich an der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. In den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Bildung und Verkehr wurden in dieser Zeit zahlreiche Projekte auf den Weg gebracht.

Wir sollten uns an diesem Vorbild orientieren, denn anders als im deutsch-französischen Grenzraum fehlt zur Ausgestaltung der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit eine Institution, die sich die Probleme grenzüberschreitend und fachübergreifend auf den Tisch zieht und pragmatisch Lösungen erarbeitet.

Aus diesem Grund sollten wir das Regionalforum zwischen Sachsen und Tschechien nicht zu einer einmaligen Angelegenheit verkommen lassen, sondern verstetigen. Denn dieses bietet die benötigte Plattform, auf der verschiedene Akteur*innen und Interessenvertreter*innen aus beiden Ländern zusammenkommen und kooperieren können.

Ich bin daher Außenministerin Annalena Baerbock, dem Auswärtigen Amt und unserer sächsischen Europaministerin Katja Meier sehr dankbar für die Initiative und die Organisation des ersten deutsch-tschechischen Regionalforums. Dieses hebt die deutsch-tschechische Beziehungen endlich auf eine neue Stufe.

Eins ist klar, Grenzregionen sind Schmelztiegel der europäischen Integration. An den teils vergessenen und vernachlässigten nationalen Randlagen wird besonders sichtbar, wie gut das Zusammenwachsen Europas über die nationalen Grenzen hinweg gelingt. In den Grenzregionen prallen im wahrsten Sinne zwei Welten und Bürokratien aufeinander, Problemstellen und Erfolge der europäischen Integration werden besonders sichtbar.

Die kontinuierliche Existenz eines solchen Forums ermöglicht es, gemeinsame Herausforderungen zu identifizieren und Lösungen zu erarbeiten. Es bietet die Möglichkeit für die Projektträger*innen, sich auszutauschen, innovative Ansätze grenzüberschreitender Zusammenarbeit kennenzulernen und von den Erfahrungen anderer Grenzakteur*innen zu lernen. Damit leistet sie einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung der Beziehungen zwischen den Menschen und zur europäischen Integration.

Die Verstetigung des Deutsch-Tschechischen Regionalforums würde einen wichtigen Schritt darstellen, hin zu einer stabilen Grundlage für langfristige und nachhaltige Beziehungen zwischen den Regionen sowie die optimale Nutzung der Potenziale für eine dauerhafte und nachhaltige grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

Lassen Sie uns gegenseitig voneinander lernen und Probleme des Zusammenwachsens aus dem Weg räumen, darin sehe ich den Auftrag für die weiteren deutsch-tschechischen Regionalforen.

Vielen Dank!