Kommentar zum Entwurf für die Änderung des Infektionsschutzgesetzes von Franziska Schubert (Fraktionsvorsitzende)
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Die Lage ist dramatisch. Die Infektionszahlen steigen. Wir haben eine hohe Ansteckungsrate in verschiedenen Altersgruppen. Die zur Verfügung stehenden Intensivbetten werden weniger, die Aufforderung der Medizinerinnen und Mediziner zum raschen Handeln ist eindeutig. Wir müssen alles tun, um eine weitere Eskalation und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Der richtige Weg dazu ist eine wissenschaftsbasierte Vorgehensweise und zügiges Handeln.
Im Ziel sind wir als BÜNDNISGRÜNE klar: die dritte Welle zu brechen. Doch das jetzt vorgelegte Mittel in Form der Änderung des Infektionsschutzgesetzes ist kein Wellenbrecher – es ist ein Notbehelf, der unbedingt nachzubessern ist.
Was wir eigentlich brauchen, ist ein bundeseinheitlicher Perspektivplan. Das RKI hat dazu Vorschläge gemacht. Doch eine solche bundeseinheitliche Strategie haben wir weiterhin nicht; die bleibt der Bund seit Monaten schuldig. Viele Bereiche brauchen jedoch dringend Perspektiven, zum Beispiel Kultureinrichtungen, die bereits gute Hygienekonzepte vorgelegt haben. Wir wollen Infektionsschutz und Perspektiven zusammengedacht wissen – wenn sich hier nicht bald etwas wahrnehmbar tut, verlieren wir immer mehr Akzeptanz und zusehends die Willigen.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist aus Sicht von uns BÜNDNISGRÜNEN nicht beschlussreif. Die Zustimmung des Bundestages für künftige Verordnungen ist zentral und wir erwarten, dass der Bundestag nachbessert. Aus unserer Sicht ist der Gesetzentwurf zudem zustimmungspflichtig im Bundesrat.
Ein Kritikpunkt ist aus unserer Sicht die fehlende Gesamtverantwortung.
Die geplanten Einschränkungen treffen vor allem wieder das Privatleben der Bevölkerung. Um aber die dritte Welle zu brechen, müssen alle gesellschaftlichen Bereiche einen signifikanten Beitrag leisten. Allen voran muss der Coronaschutz in der Arbeitswelt verbindlich verstärkt werden. Eine Verordnung, die nur ein Angebot für Tests vorsieht, ist ungenügend. Wir haben längst an immer mehr Schulen eine Testpflicht, aber nicht in der Arbeitswelt. Es kann nicht sein, dass diese gefährliche Ausnahme für die Arbeitswelt weiter fortgeschrieben wird. Deswegen sagen wir als BÜNDNISGRÜNE klar: Wir brauchen verbindliche Tests in den Unternehmen, wo immer noch in Präsenz gearbeitet werden muss. Wir brauchen ebenso verbindliche Festlegungen für mobiles Arbeiten und Home-Office. Wir schlagen einen Branchendialog auf Bundesebene vor, um gemeinsam nochmals alle Möglichkeiten zum Brechen der dritten Corona-Infektionswelle auszuschöpfen.
Diese Änderung des Infektionsschutzgesetzes ersetzt nicht die Notwendigkeit einer richtigen Strategie.
Wir BÜNDNISGRÜNE halten die Konzentration auf Inzidenzzahlen für deutlich zu eng. In Sachsen haben wir deshalb auch die Zahl der belegten Betten aufgenommen. Zuvor haben wir BÜNDNISGRÜNE immer wieder auf einen zusätzlichen Faktor gedrängt, der die Situation im Gesundheitssystem abbildet. Zudem halten wir weiterhin daran fest, dass es verbindliche Perspektiven für die Menschen braucht. Ein Perspektivplan schafft Transparenz und Akzeptanz.
Rechtliche Fragestellungen bleiben unbeantwortet.
Die bereits erfolgreichen Klagen in der jüngeren Vergangenheit bestärken unsere Zweifel an der Zulässigkeit einer restriktiven Ausgangsbeschränkung (in Form der nächtlichen Ausgangssperren), die wir schon immer hatten. Außerdem gibt es Bedenken zur Eingriffszulässigkeit des Bundes in Länderkompetenzen über das Infektionsschutzgesetz. Der Bundestag muss die Vorschläge verfassungsrechtlich prüfen und sachverständig anhören lassen, um zu einer verhältnismäßigen und rechtlich zulässigen Regelung zu finden.
Wir wollen eine Differenzierung zwischen draußen und drinnen.
Es ist nicht erklärbar, warum Dinge draußen, die wichtig sind für die Psyche – zum Beispiel Sport besonders im Kinder- und Jugendbereich oder zoologische Gärten – genauso betrachtet werden wie Innenräume. Das finden wir falsch und lebensfremd. Die Aerosolforscher haben klar dargestellt: Es ist sinnvoll, diesen Unterschied zu machen! Deshalb sollten für unter 14-Jährige etwa Outdoor-Sport möglich sein und die Außenanlagen eines Zoos geöffnet werden dürfen.
Das Thema Kontaktbeschränkungen ist im angedachten Änderungsentwurf lebensfremd formuliert.
Die Tatsache, dass ein Haushalt nur eine weitere Person treffen kann, hat mit der Lebensrealität von sehr vielen Menschen, insbesondere von Familien, nichts zu tun, und taugt deshalb nicht als Instrument gegen die Pandemie. Wir schlagen vor, dass sich ein Haushalt mit einem weiteren festen Haushalt treffen kann. Und hier stellen wir sehr deutlich die Fragen nach dem „letztem Mittel“ und der Verfassungsfestigkeit, denn hier wird das Ungleichgewicht zwischen Beschränkungen im privaten und im öffentlichen Bereich besonders deutlich.
Die Impfpriorisierung muss an die Lage angepasst werden.
Allen, die mobil sind und die viele Kontakte haben (beispielsweise Eltern), sollte endlich ein Impfangebot gemacht werden. Ein Festhalten an der Priorisierung ist angesichts der Lage nicht mehr angemessen.
Wir sollten voneinander lernen.
Weitere Maßnahmen sind zügig anzugehen und dabei können wir von einzelnen Bundesländern lernen: So hat beispielsweise Hamburg signifikante Effekte erzielt bei der Entzerrung des ÖPNV.
Kinder und Jugendliche tragen besondere Lasten in dieser Krise. Diese Solidarität muss Anerkennung erfahren und sich in politischen Entscheidungen widerspiegeln.
Wir fordern, den Schutz für Kinder und Jugendliche zu verbessern und damit auch den Eltern Rechnung zu tragen, die auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse hinweisen und zu Recht große Sorgen haben. Endlich kommt das Impfangebot für alle bei Lehrerinnen und Lehrer – das ist der wichtigste Baustein, um Schule weiter sicherer zu machen. Hilfreich wäre auch die Zulassung und Anwendung weiterer einfacher Selbsttests, um den Bedenken der Eltern insbesondere von Grundschulkindern Rechnung zu tragen. Notwendig ist eine Hotspot-Strategie, die das Infektionsgeschehen in den Einrichtungen und die gemeindescharfe Inzidenz berücksichtigt. Diese muss klar benennen, wer wann wie zu reagieren hat, wenn es Infektionsfälle an der Schule gibt. Ein Stufenplan aus zusätzlichen (Selbst-)Tests, Schließung von Lerngruppen beziehungsweise Klassen oder der gesamten Einrichtung und einheitliche Quarantäne-Regeln in den Landkreisen würde Schulleitungen, Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern mehr Sicherheit geben.
Wenn auf Bundesebene ein ,harter Lockdown‘ beschlossen wird, dann darf dieser nicht nur den privaten und den Schul-Bereich betreffen, sondern alle Bereiche. Die Einschränkungen im privaten Bereich treffen besonders Kinder und Jugendliche besonders hart. Es wird auf absehbare Zeit – unabhängig von grundsätzlich geöffneten oder grundsätzlich geschlossenen Schulen – Schülerinnen und Schüler geben, die im häuslichen Lernen verbleiben. Uns BÜNDNISGRÜNEN ist es ein wichtiges Anliegen, auch diese Kinder gut zu begleiten. Das erfordert einen zuverlässigen, guten Distanzunterricht ebenso wie eine sozialpädagogische Begleitung. Unabhängig davon, warum kein Schulbesuch möglich ist, dürfen diese Kinder nicht vom Radar verschwinden.
Mir fällt in der öffentlichen Debatte bzgl. des hier im letzten Punkt angemahnten Schutzes und der besonderen Fürsorge für Kinder und Jugendliche auf, dass dies viel zu oft – und leider hier auch – auf das System Schule reduziert wird. Auch in der frühkindlichen Phase schränkt die Pandemie eine unbeschwerte Entwicklung der Kinder enorm ein. Familien, Alleinerziehende, im Home office Arbeitende etc., die kleinere Kinder betreuen, stehen ebenso vor besonderen Herausforderungen. Kita kann ihren ganzheitlichen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag nur sehr eingeschränkt und schon gar nicht kontinuierlich wahrnehmen. Das Personal in Kitas ist in besonderem Maße gefordert und leistet Großes unter diesen Bedingungen … Dies alles verdient Wertschätzung! Wertschätzung fängt aber bereits in der Kommunikation an und sollte sich dann auch in entsprechenden Maßnahmen der Unterstützung und adäquaten politischen Entscheidungen widerspiegeln.
Wir sollten uns immer wieder bewusst machen, dass gerade in den ersten Lebensphasen die wesentlichen Grundlagen für ein gesundes Heranwachsen unserer Kinder gelegt werden und dass Schule keinesfalls das Einzige ist, was für unsere Kinder wichtig ist.
Danke für das Kommentar und den richtigen Hinweis. Auf Bildung liegt natürlich aktuell für viele der Fokus, aber wir denken natürlich auch an die vielen anderen Bereiche, die wichtig für eine gute Entwicklung und gleiche Chancen für unsere Kinder sind. Gerade auch die frühkindliche Bildung ist uns ein wichtiges Anliegen.
Hier ein paar Mitteilungen und Anträge dazu:
https://www.gruene-fraktion-sachsen.de/presse/pressemitteilungen/2020/tag-der-kinderbetreuung-buendnisgruene-warme-worte-reichen-nicht/
https://www.gruene-fraktion-sachsen.de/presse/pressemitteilungen/2020/notbetreuung-fuer-alleinerziehende-spagat-zwischen-beruf-und-kinderbetreuung-kann-nun-leichter-gelingen/
https://www.gruene-fraktion-sachsen.de/presse/pressemitteilungen/2020/foerderung-fruehkindlicher-bildung-in-sachsen-gemeinsamer-antrag-von-cdu-buendnisgruenen-und-spd/
Eine SOFORTIGE Impffreigabe für ALLE zu fordern, ist eine OBJEKT FALSCHE FORDERUNG, aus medizinisch-ethischen, aber auch organisatorisch-technischen Gründen, die nicht dadurch besser wird, dass diese auch bestimmte Ärztevertreter leider unter Ignorieren der entscheidenden Tatsache fordern.
Zzt. ist das begrenzende Moment weiterhin der NICHT IN AUSREICHENDER MENGE VORHANDENE IMFPSTOFF.
(kann man sich hier immer tagesaktuell anschauen; am heutigen 19.4., 16.30 Uhr kaum noch irgendwo Termine in Impfzentren verfügbar https://www.countee.ch/app/de/counter/impfee/_iz_sachsen)
Die älteren und kranken/vorerkrankten Menschen sind immer noch diejenigen mit dem vielfach erhöhten Risiko bei einer Corona-Infektion schwer zu erkranken bzw. sogar zu versterben!
Und die Älteren sind auch Großeltern, die in der Realität trotzdem ihre Enkel*innen treffen (oder die zurückhaltenden, diese wieder treffen wollen).
Es gibt immer noch genügend ältere und vorerkrankte Impfwillige, die aus verschiedenen Gründen noch nicht zu einer Impfung gekommen sind und sich schon jetzt aufregen, dass jüngere Menschen geimpft werden.
Für weiteren Austausch stehe ich als zzt. in dem Bereich mitarbeitender gern zur Verfügung.
Lieber Torsten, wir haben auch deine Mail dazu erhalten. Tut uns leid, dass es zur Zeit nicht immer so schnell mit der Reaktion geht, aber wir sind bemüht. Zu deinem Kommentar: Franziska fordert nirgends im Text die sofortige Impffreigabe für alle. Sie möchte eine Anpassung der Impfpriorisierung, weil die ursprünglich angedachte aus unserer Sicht nicht mehr sinnvoll ist. So sollten zum Beispiel Gruppen wie Eltern auch schnellstmöglich ein Angebot bekommen.
Und ja, die Verfügbarkeit des Impfstoffes ist nach wie vor ein Problem. Wir sind aber zuversichtlich, dass sich der „Knoten“ in diesem Bereich immer mehr lösen wird und sind sehr dankbar für eure Arbeit in den Impfzentren!
Viele Grüße aus der Pressestelle
Ich stimme euch in Allem zu, mit Ausnahme der „Konzentration auf Inzidenzzahlen“.
Die Inzidenzzahlen sind der schnellste Indikator den wir für den Verlauf der Pandemie haben.
Eine Ergänzung um die Test-Positiv-Rate würde ich für sinnvoll halten, da sie beschreibt ob angemessen oft getestet wird. (Wird es zur Zeit nicht, 13% sind viel zu viel.)
Wenn die Menschen erst im Krankenhaus sind – nach ein bis zwei Wochen Krankheit – ist es bereits zu spät. Bis dahin haben die Patienten wahrscheinlich schon viele andere angesteckt.
Außerdem widerstrebt mir der Gedanke, die Krankenhäuser immer kurz vor der Überlastung zu halten. Das ist auf Dauer für das medizinische Personal (Burnout) und Patienten (Tod, Long-Covid) äußerst schädlich.