Berufsanerkennung – Melcher: Wir können und wir wollen auf niemanden verzichten

Redebeitrag der Abgeordneten Christin Melcher (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der Staatsregierung: „Gesetz zur Regelung berufsanerkennungsrechtlicher Verfahren“ (Drs 7/15435)

89. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch 12.06.2024, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit dem Gesetz zur Berufsanerkennung, das wir heute beschließen wollen, knüpfen wir nahtlos an die Debatte zu unserem Koalitionsantrag aus dem letzten Plenum an:

Ausländische Fachkräfte für den Freistaat Sachsen gewinnen – Berufsanerkennungsprozesse optimieren – Integration in Arbeit und Gesellschaft erleichtern.

Damit sind zugleich die Ziele des vorliegenden Gesetzentwurfs umrissen.
Das Anliegen ist es, Anerkennungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Und wir harmonisieren Landes- und Bundesrecht, insbesondere mit Blick auf das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das Aufenthaltsgesetz und das Onlinezugangsgesetz.

Was bedeutet das konkret in der Praxis?

Erstens: Wir senken den Aufwand für die Antragstellerinnen und Antragsteller. Künftig soll das Anerkennungsverfahren auch auf digitalem Wege möglich sein.

Außerdem genügen in der Regel einfache Kopien als Nachweis für die Qualifikation. Beglaubigungen oder Originale sind nur noch in Ausnahmefällen vorzulegen.

Zweitens: Wir erweitern die Optionen zum Ausgleich sogenannter „wesentlicher Unterschiede“ zum deutschen Referenzberuf auch bei den nicht reglementierten Berufen.

Wir wollen, dass zugewanderte Menschen hier in Sachsen wieder in ihrem erlernten Beruf arbeiten können. Wenn im Rahmen des Anerkennungsverfahrens Unterschiede festgestellt werden, brauchen die Antragstellenden die faire Chance, diese durch eine passgenaue Qualifizierung auszugleichen.

Drittens: Künftig wird die Bundesagentur für Arbeit die Beratung der zugewanderten Fach- und Arbeitskräfte innerhalb ihrer Regelstrukturen übernehmen. Inwieweit die vorhandenen Beratungs- und Förderinstrumente ausreichend und zielgruppengerecht sind, ist Gegenstand der Evaluation, die bis Ende 2026 vorzulegen ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
eine professionelle Berufsanerkennung ist ein Schlüssel zur Integration. Zugleich leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung des Fachkräftemangels.

Schließlich verlieren wir auf dem Arbeitsmarkt in den nächsten zehn Jahren eine Drittelmillion Menschen im erwerbsfähigen Alter.
Wir können und wir wollen auf niemanden verzichten: nicht auf die Ingenieurin mit dem Fachkräftevisum, nicht auf den asylsuchenden Lehrer und erst recht nicht auf die Frau mit einer Duldung, die eigentlich Altenpflegerin ist, aber als Reinigungskraft arbeitet.

Wir brauchen diese Menschen. Und ich sage auch ganz deutlich: Wir wollen diese Menschen hier im Freistaat Sachsen.

Deshalb sollten wir ihnen zeigen, dass sie hier willkommen sind. Das ist eine Frage der Wertschätzung und des Respekts.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der vorliegende Gesetzentwurf wird nicht alle Hürden beseitigen. Die Verfahren bleiben komplex. Angesichts der weltweiten Migrationsbewegungen und der vielfältigen Möglichkeiten der Zuwanderung wird die Berufsanerkennung absehbar auch nichts an Komplexität verlieren, im Gegenteil. Zudem werden künftig auch rein quantitativ mehr Verfahren zu bescheiden sein.

Das Gesetz soll helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen und Steine aus dem Weg zu räumen. Ich bitte um Zustimmung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte gleich noch den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen einbringen.

Dabei möchte ich zwei Aspekte hervorheben.

Erstens: Ich hatte auf die hohe Zahl und die Komplexität der Anerkennungsverfahren hingewiesen. Betroffene sind dabei mit einer Vielzahl an Regelungen und unterschiedlichen Zuständigkeiten konfrontiert. Gute Beratung ist deshalb von entscheidender Bedeutung.

Uns ist es wichtig, dass alle Menschen einen fairen Zugang zum Arbeitsmarkt haben und einen Job finden, der ihrer Qualifikation entspricht – und das beginnt mit einem gesicherten Zugang zu Beratung.

Sollte die Evaluation zeigen, dass die Regelstrukturen nicht ausreichen oder nicht alle erreichen, werden wir einen gesetzlichen Anspruch prüfen müssen.

Zweitens: Viele der zugewanderten Fachkräfte sind Lehrerinnen und Lehrer, laut Aussage der IBAS-Beratungsstellen jede und jeder Fünfte, die oder der eine Beratung zur Anerkennung in Anspruch nimmt.
Gleichzeitig liegt der Anteil von Lehrkräften mit Migrationshintergrund weit unter deren Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung.

Insbesondere die Anforderung, eine Qualifikation in zwei Unterrichtsfächern nachzuweisen, erweist sich als Hürde. Es ist ein Spezifikum im deutschsprachigen Raum, dass ein Lehramtsstudium in aller Regel zwei Fächer umfasst. In der Folge kommen ausgebildete Lehrkräfte zu uns – Lehrkräfte, die wir dringend brauchen! – und werden nicht eingestellt, weil ihre im Heimatland vollständige Ausbildung hier nicht als solche anerkannt wird.

Es gibt bereits Bundesländer, die Möglichkeiten zur Anerkennung dieser sogenannten „Ein-Fach-Lehrkräfte“ gefunden haben. Wir wollen, dass dies auch in Sachsen geprüft wird.

Daneben sind die sprachlichen Hürden für eine Tätigkeit im Schuldienst hoch. Hier wollen wir den Antragstellenden zumindest mehr Zeit einräumen, die erforderlichen Sprachnachweise zu erbringen. Das bedeutet konkret, dass der Nachweis zum geforderten Sprachniveau C1 nicht bereits bei Antragstellung vorliegen muss, sondern im weiteren Verfahrensgang beigebracht werden kann.

Auch dies dient letztlich dem Ziel, eine Willkommenskultur zu schaffen. Lassen Sie uns Verfahren so gestalten, dass sie ermutigen und einladen – und nicht abschrecken.

Ich bitte auch hier zum Zustimmung. Vielen Dank.