Fachregierungserklärung Wirtschaft – Liebscher: Unternehmen brauchen klare Perspektiven, auf die sie ihre Investitionen aufbauen können
Redebeitrag des Abgeordneten Gerhard Liebscher (BÜNDNISGRÜNE) zur Fachregierungserklärung zum Thema: „Sicherheit im Wandel: Wie die großen Investitionen in Sachsens Wirtschaft auch im Kleinen ankommen“
82. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch 31.01.2024, TOP 4
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
werte Kolleginnen und Kollegen,
die sächsische Wirtschaft befindet sich in einem grundlegenden Umbauprozess. Hintergrund sind veränderte Anforderungen durch die Klimakrise, durch die Digitalisierung und durch Verschiebung im globalen Wettbewerb. Öffentliche Investitionen unterstützen diesen Umbau. Sie schaffen Anreiz für Investitionen, für Innovationen im privaten Bereich. Denn allein aus öffentlichen Mitteln werden wir die Transformation nicht stemmen. Die KfW gibt uns eine Faustregel: Pro Jahr müssen wir rund fünf Prozent des BIP in den nachhaltigen Umbau der Gesellschaft lenken. Einiges davon geschieht bereits.
Die Bundesrepublik ist zur Klimaneutralität bis 2045 verpflichtet. Wir alle verfolgen das Ziel, aus dem gemeinsamen Wunsch heraus, unseren Kindern und Enkeln ein ordentliches Leben auf dieser Welt zu ermöglichen. Und daran haben wir uns als Politik, als Gesellschaft, als Wirtschaft, daran haben sich öffentliche Investitionen zu messen.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
wir treffen derzeit Grundsatzentscheidungen, ob Kernbereiche der Industrie eine Zukunft im Freistaat haben. Wir als BÜNSNISGRÜNE wollen, dass die großen Zukunftsindustrien nicht nur in den USA oder China beheimatet sind, sondern auch hier in Europa.
Wir als BÜNDNISGRÜNE haben auch diejenigen im Blick, die nicht in direkter Weise von den Milliardensubventionen profitieren. Denn die meisten Unternehmen müssen ohne derart hohe Zuschüsse auskommen. Da ist die Rückmeldung aus individueller Unternehmenssicht erstmal naheliegend: „Zehn Milliarden Euro! Wissen Sie, was ich alles damit aufbauen könnte – wenn ich nur eine Million pro Arbeitsplatz bekäme?“
Was ich Ihnen sagen kann: Es geht nicht darum, hierzulande einen eitlen Wettbewerb zu führen und die Industrie-Leuchttürme zu vergolden. Es handelt sich nicht um rein wirtschaftspolitische Prestige-Projekte.
Vielmehr steht die gesamtwirtschaftliche Sicherheit unserer Volkswirtschaft im Fokus dieser Industriestrategie. Hieran arbeiten Land, Bund und Europa zusammen. Und dieser Effekt, will ich meinen, ist das erste klare Plus für die kleinen und mittleren Unternehmen unseres Freistaates.
Das Jahr 2022 hat die weltpolitische Gesamtlage in nicht zu unterschätzender Dramatik verändert. Die freie globale Marktwirtschaft, die für Jahrzehnte für relativ stabile internationale wirtschaftliche Rahmenbedingungen sorgte, ist in Frage gestellt. Der russische Angriffskrieg, der amerikanische Inflation Reduction Act und das Agieren Chinas treffen die Wirtschaft der Bundesrepublik besonders. Denn unsere Wirtschaft ist sehr stark exportorientiert. Auch das gilt es zu bedenken. Business as usual im Wortsinn ist aufgrund dieser externen Effekte heute nicht mehr möglich!
Werte Damen und Herren,
ob Chip-Krise, Gasabhängigkeit, oder die drohende Sicherheitslage im Roten Meer: Globale Krisen versetzen unsere regionale Wirtschaft in ganz akute Schieflagen. Das wissen diejenigen unter uns am besten, die ihre Lieferkette zusammenhalten müssen. Diese Abhängigkeiten unserer Wirtschaft wollen wir BÜNDNISGRÜNE reduzieren. Das erfordert den strategischen Aufbau all derjenigen Bereiche, die unsere wirtschaftliche Entwicklung maßgeblich bestimmen werden.
Die Northvolt-Ansiedlung im Norden ist der neueste Mosaikstein dieser Strategie. Mit 30 Milliarden ist die Investition von Intel in unserer Nachbarschaft Magdeburg die größte Einzelinvestition in der Geschichte Europas. TSMC und Partner schließen mit 10 Milliarden in Dresden an, Infineon investiert 5 Milliarden hier vor Ort.
Die Ansiedlung von TSMC tut genau das. Sie festigt die Resilienz der regionalen Produktion. Die hiesige Wirtschaft wird mit Chips versorgt. Und wir sind uns alle darin einig: Die Nachfrage nach Chips wird sich mit der Automatisierung verdoppeln oder gar verdreifachen. Ob Fensterheber oder Entertainment – das künftige Auto braucht Hunderte von Halbleitern. Profitieren werden also auch in der Breite all diejenigen ganz direkt, deren Produktion mit der Verfügbarkeit von Chips steigt und fällt: Automobilzulieferbetriebe oder Robotik – es gewinnen alle Bereiche der Automatisierung. Im Zeitalter von datengesteuerten Innovationen ist das ein echtes Pfund und ein Push für den internationalen Tech-Standort Sachsen.
Die Halbleiterbranche ist seit Jahrzehnten schrittweise erfolgreich aufgebaut worden. Gleichermaßen benötigen andere Kernbereiche industrieller Versorgung strategische Unterstützung:
Wir brauchen eine starke Grundstoffindustrie, wir brauchen die Chemie in der Transformation, die Pharmaindustrie, wir brauchen grünen Stahl, wir brauchen eine nachhaltige Energiewirtschaft. Wir stehen jetzt ganz akut im Freistaat am Scheideweg: Wird die Solarindustrie in Sachsen, in Europa eine Zukunft haben?
Werte Kolleginnen und Kollegen,
Versorgungssicherheit ist das große gemeinsame Ziel. Gleichzeitig stehen am Anfang der Lieferkette sächsische Mittelständler, die ganz besonders von der Auftragslage profitieren, die durch die Ansiedlung der Halbleiterbranche ins Land kommt. Die Kapazitäten des Mittelstandes vor Ort müssen stark ausgebaut werden, um die Nachfrage der Riesen zu decken. Bau, Anlagenbau, Fertigung, Abwasseraufbereitung seien hier nur bespielhaft genannt.
All diese Unternehmen brauchen klare Perspektiven und Rahmenbedingungen, auf die sie ihre Investitionsentscheidungen aufbauen können. Die Signale sind klar zu setzen: Dekarbonisierte Produktion, Ausbau der Erneuerbaren und Investition in Wasserstoff bieten neue Sicherheit auf den Märkten.
Geld zuschießen allein reicht dafür nicht, wir müssen parallel alle Rahmenbedingungen fortentwickeln: Infrastruktur ausbauen und Instandhalten, Forschung stärken, Bildung und Ausbildung stärken, Digitalisierung entschieden voranbringen, Verfahren entschlacken.
Ich möchte Sie mitnehmen auf eine kurze Reise in das befreundete Japan. Einigen von Ihnen mag zuletzt ein Bericht der Wirtschaftswoche aufgefallen sein. Ein Bericht aus Kikuyo, Japan. Dort hat TSMC – ganz ähnlich wie hier, zu vergleichbaren Konditionen – in einen neuen Standort investiert. In diesem Jahr, 2024 beginnt dort bereits die Produktion. Und die Ansiedlung hat die örtliche Kleinstadt vor ganz erhebliche Herausforderungen gestellt. Ganz neuen Bedarfe entstehen mit der Ansiedlung vor Ort: Bedarfe nach Fachkräften, nach Verkehrsinfrastruktur, nach Daseinsvorsorge, nach Pflege, nach Wohnraum. Wir sollten ganz nüchtern die Bedarfe betrachten, die große Investitionen mit sich bringen. Denn auch hier in Sachsen ist die Ansiedlung der Chipriesen kein Einzelfall.
Wir stehen hier – wie so oft – vor Zielkonflikten, die es aufzulösen gilt. Meine Art ist nicht, schwarz und weiß zu malen, sondern einen klugen Weg zu finden. Angebote zu schaffen, Brücken zu bauen.
Es gilt aus BÜNSNISGRÜNER Sicht, den Aufbau der Zukunftstechnologie hier im Freistaat strategisch zu begleiten. Und zwar so, dass die regionale Bevölkerung spürbar profitiert! Dass die Lebensqualität der Sächsinnen und Sachsen spürbar steigt.
Als BÜNDNISGRÜNE fordern wir daher klar, jede Ansiedlung mit durchdachten regionalen Konzepten zu verknüpfen. Wir fordern ganz klar, zu großen Ansiedlungsprojekten spezifische Fachkräfteentwicklungsstrategien vorzulegen. Diese sind abzustimmen mit dem Aufbau öffentlicher Daseinsvorsorge, mit medizinischer Versorgung, mit Pflegekapazitäten, mit Wohnraum und mit Verkehrsinfrastruktur. Es gilt, bei Ansiedlungen strategische Energie- und Wasserversorgungskonzepte vorzulegen, die die Bedarfe der Industrie, bei steigender Ressourcenknappheit, in die Kreisläufe und Bedingungen vor Ort einbinden.
Das gilt für Dresden, das gilt aber auch für die großen Industrieforschungsprojekte und das gilt auch für den Leipziger Nordraum.
Um die Herausforderungen und den Infrastrukturausbau zu meistern, dürfen wir als Freistaat die Kommunen nicht allein lassen. Die notwendigen Investitionen, beispielsweise in die Nahverkehrsinfrastruktur, sind gewaltig, damit die umliegenden Ortschaften nicht im Verkehrschaos enden und die Lebensqualität für die Menschen vor Ort erhalten wird. Neben einer besseren finanziellen Ausstattung des ÖPNV ganz allgemein stehen wir als Freistaat in der Verantwortung, den Kommunen auch neue Instrumente zur Finanzierung des ÖPNV an die Hand zu geben. Ein mögliches Beispiel ist die Nutznießer-Finanzierung. Übrigens eine seit langem in Wien und Frankreich angewendete und gut akzeptierte Variante zur Mitfinanzierung des ÖPNV durch die Arbeitgeber. Damit Kommunen solche Finanzierungsinstrumente einführen könnten, müsste der Freistaat die rechtlichen Voraussetzungen zu deren Erhebung schaffen.
Eines möchte ich herausstellen: Kapital arbeitet nicht, Menschen arbeiten.
Wir brauchen Investitionen zur Transformation. Die SRW metalfloat in Espenhain ist ein wunderbares Beispiel: Schrottrecycling, das heißt Kreislaufwirtschaft. Der internationale Investor: Ein Recycling-Riese. Die Belegschaft steht seit 80 Tagen im Streik, den ganzen kalten Winter durch. Streiken Sie mal fünf Tage – das ist knallhart für alle!
Diese Menschen machen lautstark klar: Internationale Investitionen – ja, bitte. Und zwar nur mit Tarifbindung. Damit auch alle Sächsinnen und Sachsen an Investitionen teilhaben, braucht es eine starke Sozialpartnerschaft. Diese Botschaft gilt allen Investorinnen und Investoren und auch TSMC gleichermaßen: Starke Fachkräfte erfordern starke Tarifpartner.
Innovation und Leuchttürme reichen nicht aus, um Sachsen zum international attraktiven Standort aufzubauen. Die Reputation unseres Landes, die Strahlkraft und die Wettbewerbschancen im internationalen Arbeitsmarkt verlangen vor allem eines: Jeder Mensch muss sich hier wohl fühlen.
Feindbilder, neuerdings auch KI generierte Feindbilder, wie sie durch die sächsische Rechte gepflegt werden, schrecken die besten Köpfe ab. Rechtspopulistische Hetze drückt als finsterer Schatten auf die sächsische Strahlkraft von Innovation und Fortschritt. „Wir investieren in Köpfe“ lässt sich allenthalben vernehmen.
Die höchste technologische Ausstattung, die besten Förderkonzepte – all das hilft uns keinen Schritt weiter, wenn die klügsten Köpfe am Bahnhof wieder umdrehen, weil sie zur Begrüßung rassistisch beschimpft werden!
Die Wirtschaft im Land ist in höchster Alarmbereitschaft. Denn wirtschaftliche Entwicklung, Innovation und Forschung braucht vor allem Eines: Den Schutz unserer Demokratie.
Jede Unternehmerin, jeder Meister, jeder Stift, jede Gewerkschafterin mag ihre eigenen Vorschläge haben. Mag die Transformation für notwendig oder übereilt heißen. Aber allen von uns stehen dafür demokratische Parteien zur Wahl. Allen steht zur Wahl, sich einzubringen und die Wirtschaftspolitik zu gestalten. Denn die breite Mehrheit der Bevölkerung will in einem Land leben, in dem freiheitliche Rechte jedes Einzelnen geschützt sind.
Es gibt keine wirtschaftliche und es gibt keine politische Rechtfertigung, mit Faschisten gemeinsame Sache zu machen. Und darum fordere auch ich – zusammen mit Hunderttausenden auf der Straße – als Mensch, als Unternehmer, als Wirtschaftspolitiker: Nie wieder Faschismus!
Vielen Dank.