Aktuelle Debatte Asyl – Petra Čagalj Sejdi: Es braucht ein gemeinsames solidarisches System auf EU-Ebene, das Menschenrechte wahrt
Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zur Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion AfD: „Massenmigration ohne Ende: Ist das Grundrecht auf Asyl noch zeitgemäß?“
78. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 08.11.2023, TOP 5
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht. Und das ist gut so, weil Grundrechte stabil sind und nicht einfach wegfallen, wenn sie irgendjemandem plötzlich nicht mehr „zeitgemäß“ erscheinen.
Ihr Debattenthema zeigt einmal mehr, wes Geistes Kind die AfD ist.
Grundrechte sind zeitlos. Sie gehören zu den Grundpfeilern unserer Demokratie. Sie bilden die Werteordnung unseres Landes.
Nach den Schrecken des Nationalsozialismus war es den Müttern und Vätern des Grundgesetzes äußerst wichtig, die grundlegenden Menschenrechte als unmittelbar geltendes Recht an den Anfang unserer Verfassung zu stellen. Die Grundrechte unterliegen der Ewigkeitsgarantie, sie dürfen nicht in ihrem Wesensgehalt angetastet werden.
Und zu diesen Grundrechten gehört auch das Asylrecht!
Ich möchte an dieser Stelle auch deutlich machen, dass ich die in der Protokollerklärung Sachsens zum MPK-Beschluss angesprochenen Einschränkungen des Asylrechts nicht mittrage. Das Grundrecht auf Asyl und eine Integrationsgrenze stehen sich diametral gegenüber. Ein individuelles Recht verliert nicht seine Wirksamkeit, weil „das Boot voll ist“! Auch der Vorschlag, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern ist eine menschenrechtliche Bankrotterklärung.
Mit dem Asylkompromiss 1993 wurde das Asylrecht in eine europäische Gesamtlösung eingebettet, die sicherstellen sollte, dass Menschenrechte gewahrt werden. Schon innerhalb Europas gab es in der Vergangenheit immer wieder Urteile des Europäischen Gerichtshofes, weil Mitgliedsstaaten rechtstaatliche Asylverfahren oder menschenwürdige Unterbringung nicht gewährleisten konnten.
In Drittsaaten können diese Standards nicht gewährleistet werden. Die Gefahr, dass Menschen in Verfolgerstaaten abgeschoben werden, ist hoch. Eine Kontrollinstanz wie den Europäischen Gerichtshof gibt es nicht.
Einfach ausgedrückt würde das bedeuten, dass wir keinen Schutz mehr gewährleisten, dass es uns schlichtweg egal wäre. Das ist nicht akzeptabel.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir leben in herausfordernden Zeiten. Und herausfordernde Zeiten erfordern auch unbequeme Fragen. Sie erfordern aber keinen Populismus, keine Scheindebatten, kein missachten der Grundrechte oder gar Menschenrechte.
Was erwarten Sie sich denn davon, wenn Sie das Asylrecht in Frage stellen? Wenn Sie ihm seinen Individualrechtscharakter nehmen oder ihre weiteren Vorschläge umsetzen wollen?
Eines ist gewiss: Sie brechen damit auch Völkerrecht.
Die Anerkennungsquote als Asylberechtigte lag 2022 in Deutschland unter einem Prozent.
Der Großteil der Menschen bekommt internationalen Schutz, wie den Flüchtlingsschutz.
Die Grundlage für internationalen Schutz sind völkerrechtliche Verträge, wie beispielsweise die Genfer Flüchtlingskonvention oder der Vertrag über die Europäische Union und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
Das wollen sie hinterfragen? Abschaffen?
Leider merke ich in der letzten Zeit, wie dieser Populismus verfängt – ja auch über die Grenzen der AfD hinaus. Das ist entsetzlich. Wo bleibt in der ganze Debatte die Vernunft?
Oder ist Vernunft Ihrer Meinung nach auch nicht mehr zeitgemäß?
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
warum fangen wir nicht endlich damit an, uns sachlich damit auseinanderzusetzen, wie wir Flucht und Zuwanderung zu uns umsetzen wollen?
Wann fragen wir uns endlich: Was hilft wirklich? Und wann beantworten wir diese Frage auch?
Es braucht aus meiner Sicht zunächst ein gemeinsames solidarisches System auf EU-Ebene, das Menschenrechte wahrt.
Und in der Bundesrepublik sollten wir uns anschauen, wie wir der kommunalen Ebene helfen. Denn dort liegen die Herausforderungen, dort müssen Menschen untergebracht und integriert werden.
Es fehlt an Geld und an personellen Ressourcen in Größenordnungen, für den sozialen Wohnungsmarkt, für Schule, für Kita, für Beratungs- und Integrationsangebote u.v.m.
Ich höre immer nur: Rückführungen, Begrenzung, Abschottung. Es wäre aber realistisch, anzuerkennen, dass sehr viele Menschen, die zu uns kommen, Schutz brauchen. Die bereinigte Schutzquote liegt bei 73 Prozent. Da helfen mehr Abschiebungen wenig, um in der Kommune Unterbringung und Integration zu meistern.
Noch realistischer wäre es, sich dazu zu bekennen, dass wir tatsächlich Menschen brauchen. Schon jetzt fehlen uns Arbeits- und Fachkräfte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
lassen Sie uns die Linien wahren, die uns das Grundgesetz und das Völkerrecht ziehen. Und
lassen Sie uns endlich die richtigen Fragen stellen und die Probleme pragmatisch, lösungsorientiert und realistisch angehen.