Sozialbericht – Kuhfuß: Die vorliegenden Daten eignen sich hervorragend für eine strategische Sozialraumplanung

Redebeitrag der Abgeordneten Kathleen Kuhfuß (BÜNDNISGRÜNE) zur Unterrichtung durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt zur: „Zweite Sozialberichterstattung für den Freistaat Sachsen“ (Drs 7/12098)
71. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 01.06.2023, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Präsident,
meine Damen und Herren,

ich möchte zunächst dem Sächsischen Sozialministerium meinen Dank aussprechen für den sehr guten, auch grafisch ansprechend aufbereiten Sozialbericht. Die vorliegenden Daten eignen sich hervorragend für eine strategische Sozialraumplanung und bieten auch für die Gebietskörperschaften eine sehr gute Grundlage, um Strategien und Konzepte zu entwickeln. Der Bericht zeigt die Unterschiede in den Landkreisen auf und ermöglicht eine gezielte Nutzung der Daten vor Ort für maßgeschneiderte Maßnahmen. Besonders lobenswert ist zudem die geschlechtergerechte Betrachtung.

Ich würde gern drei Themen setzten, die auch für uns auf Landesebene Hinweise auf Steuerungsbedarfe geben:

1) Zunächst das Sozialbudget und hier explizit der große Unterschied an Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe (S. 144 ff)

Der Bericht verdeutlicht, dass es außerhalb der Betreuung in Kitas oder im Hort große Unterschiede gibt, wie viel Geld, Landkreise und Städte für junge Menschen und Familien ausgeben. Besonders hervorstechend sind die Unterschiede bei den finanziellen Mitteln für die Jugendhilfe, die von 74 Euro pro Einwohner in Mittelsachsen bis 269 Euro pro Einwohner in der Stadt Leipzig reichen.

Daraus lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen: Erstens stellen sich Bedarfe unterschiedlich dar und zweitens wird unterschiedlich viel Geld ausgegeben. Angesichts der Tatsache, dass die Lebensphase Kindheit und Jugend auch an verschiedenen Wohnorten ähnlich gestaltet ist und wir im Grundsatz überall vergleichbare Bedingungen, auch für junge Menschen wollen, muss auf der Landesebene an mindestens zwei Steuerungsmechanismen gearbeitet werden:

Erstens ist eine Weiterentwicklung der Jugendpauschale weiterhin erforderlich, um eine verlässliche Infrastruktur für Kinder, Jugendliche und Familien vor Ort zu unterstützen. In zahlreichen Vor-Ort-Terminen höre ich in den ländlichen Räumen immer wieder dasselbe: Offene Kinder- und Jugendarbeit – die präventiv wirkt, berät, fördert und beteiligt – kämpft jährlich um ihre Finanzierung und verliert unter dieser Unsicherheit qualifiziertes Personal. Mit dem Ergebnis, dass Angebote schwinden – und damit auch die Attraktivität der Orte für Jugendliche und der Gedanke, Probleme frühzeitig zu klären, bevor es kostenintensiv wird.

Da Kinder, Jugendliche und Familien einen Anspruch auf Beratung, Begleitung und auch Beteiligung haben, ist es eben notwendig, die kommunalen Ebene zu ermutigen, gute Bedingungen zu schaffen, um langfristig und qualitativ hochwertige Angebote zu entwickeln und zu sichern.

Wir ermöglichen im aktuellen Doppelhaushalt die Langfristigkeit der Jugendpauschale bis 2026, das ist ein erster Schritt. Ein zweiter sollte anhand der gravierenden Unterschiede in den Ausgaben sein, dass Landkreise mehr Anreize bekommen, in die Aufgaben der Jugendarbeit, des Jugendschutzes und der Beratung zu investieren. Die Herausforderungen werden groß bleiben, daher muss die Unterstützung für Kinder, Jugendliche und Familien vor Ort sichergestellt werden.

Zweitens beobachten wir einen steigenden Bedarf an Hilfen zur Erziehung. Wir haben eine Verantwortung, gemeinsam mit den Landkreisen und Städten Konzepte zu entwickeln, wie diese Bedarfe auch in Zeiten von Fachkräftemangel und limitierten Haushaltsmitteln gedeckt werden können. Dazu haben wir aus dem Landtag heraus bereits eine Studie initiiert, die mit den Expert*innen der Jugendämter und den Adressat*innen neue Wege entwickelt, wie wir Hilfen gestalten können, die wirkungsvoll sind.

2.) Beschäftigungspotenziale heben

Auf den ersten Blick mag Teilzeitbeschäftigung (S.188) als eine persönliche Lebensentscheidung erscheinen. Doch bei einem Blick aufs Große und Ganze ist es notwendig, mögliche Potenziale zu analysieren, um dem Fach- und Arbeitskräftemangel zu begegnen.

Die Sozialberichterstattung zeigt, dass Teilzeitangebote vermehrt von Menschen aller Altersgruppen genutzt werden. Daher brauchen wir verschiedenen Strategien, um mehr Arbeitszeit zu aktivieren.

Mit dem Aktionsplan Alleinerziehende haben wir bereits das Ziel gesetzt, die Integration von Alleinerziehenden in den Arbeitsmarkt zu verbessern. Jetzt müssen noch konkrete Maßnahmen folgen, um das Potenzial auch wirklich zu heben und gleichzeitig das Armutsrisiko für Ein-Eltern-Familien zu senken.

Eine echte Zukunftsfrage wird es sein, wie wir Senior*innen, die sich im Übergang zur Rente oder Altersrente befinden, freiwillige, flexible und attraktive Angebote machen – ihre Kompetenzen weiter einzusetzen.

Der Sozialbericht zeigt jedoch auch, dass die große Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten weiblich ist – fast 8 von 10 Beschäftigten in Teilzeit sind Frauen. Daher müssen wir uns die Frage stellen, wie wir die Teilhabe von Frauen an der Arbeitswelt steigern und auch mehr Mütter dazu motivieren können, auch wieder in Vollzeit einzusteigen. Frauen muss es ermöglicht werden, ihre beruflichen Ambitionen zu verfolgen und ihr Potenzial auszuschöpfen.

Wir müssen Lösungen finden, um Beschäftigungspotenziale zu steigern und gleichzeitig die Chancengleichheit zu fördern.

3) steigender Bedarf an Pflegekräften/ Versorgung in der Pflege

Die Alterung der Bevölkerung und die damit steigende Anzahl von Pflegebedürftigen stellt uns vor die große Herausforderung, dass wir in den nächsten Jahren viel mehr Pflegekräfte in Sachsen benötigen.

Die aktuellen Vorausberechnungen zeigen, dass bis zum Jahr 2035 circa 280.000 pflegebedürftige Menschen in Sachsen leben werden – dies entspricht einem Anstieg um 13 Prozent. Der Bedarf an stationären Pflegeeinrichtungen wird sich dabei aufgrund der Altersstruktur der Pflegebedürftigen stärker erhöhen als der Bedarf an ambulanten Pflegeleistungen – die Vorausberechnungen gehen davon aus, dass bis 2035 zusätzlich 8.810 stationäre Pflegeplätze in Sachsen benötigt werden.

Natürlich ist dieser Anstieg mit einem steigenden Bedarf an qualifiziertem Pflegepersonal verbunden. Es werden vorrausichtlich 66.000 Vollzeitstellen im Pflegebereich benötigt, um den steigenden Bedarf zu decken. Darüber hinaus müssen auch Beschäftigte, die in Ruhestand gehen, ersetzt werden. Ein deutlich größerer Bedarf besteht an Assistenz- bzw. Helferberufen gegenüber Pflegefachpersonen.

Der Sozialbericht gibt uns hier sehr differenzierte Vorausberechnungen, die die unterschiedlichen Bedarfe der Landkreise und kreisfreien Städte aufzeigen. Wir müssen auf Landesebene gemeinsam mit den Kommunen den Ausbau der stationären Pflegeeinrichtungen, gerne auch in neuen generationsübergreifenden Formen, vorantreiben. Dabei geht es nicht nur um vollstationäre Einrichtungen, sondern auch um den Ausbau der Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflege.

Im vergangenen Doppelhaushalt haben wir bereits mehr Mittel für die Kurzzeitpflege eingestellt, der Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften kommt allerdings eine neue hohe Bedeutung zu.

Besonders wichtig ist es, Personalressourcen durch unterschiedlich angepasste Qualifizierungsmöglichkeiten zu erschließen und den Blick zu weiten. Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, junge Menschen, die vielleicht keinen Hauptschulabschluss haben, von einer Ausbildung zur Krankenpflegehelferin oder zum Krankenpflegehelfer auszuschließen.

Der Ausbau der stationären Pflegeeinrichtungen und die Schaffung von qualifiziertem Pflegepersonal sind dringend erforderlich. Die Menschen in Sachsen müssen sich darauf verlassen können, dass sie unabhängig vom Geldbeutel Zugang zu guter Versorgung und Pflege haben.

Ein guter Sozialbericht macht noch keine gute Sozialpolitik, aber er macht deutlich, was zu tun ist. In diesem Sinne, mein herzlicher Dank an das Sächsische Sozialministerium – es hat uns zur richtigen Zeit eine gute Datenbasis für eine engagierte Politik für die Menschen in Sachsen zur Verfügung gestellt.

Ich bitte um Kenntnisnahme und bedanke mich für die Aufmerksamkeit!