Inklusion am Arbeitsmarkt – Čagalj Sejdi: Zum Recht auf ein selbstbestimmtes Leben gehört auch die Teilhabe am Arbeitsleben

Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE: „Inklusion von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt“ (Drs 7/10373)
71. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 01.06.2023, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Präsident
liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Ergebnisse zur Großen Anfrage „Inklusion von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt“ zeigen Ähnliches wie auch der 7. Bericht zur Lage der Menschen mit Behinderung:

Wir haben in Sachsen zwar einige Fortschritte erzielt, hängen aber gerade was den Arbeitsmarkt betrifft noch weit hinter dem, was notwendig wäre, um wirklich inklusiv und gleichberechtigt gemeinsam zu leben und zu arbeiten.

Die Zahlen aus der Antwort der Staatsregierung und auch aus dem Bericht zeigen es klar und deutlich: Die Beschäftigungsquote auf dem ersten Arbeitsmarkt ist immer noch viel zu niedrig. Die wenigen Beschäftigten mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten viel zu oft im Niedriglohnsektor.

Im Jahr 2017 waren in Sachsen unter den Personen im Erwerbsalter (18 bis 64 Jahre) nur 48 Prozent der Menschen mit Behinderungen erwerbstätig, im Vergleich zu 83 Prozent derjenigen ohne Behinderungen.

Dieser Unterschied verdeutlicht ganz klar den Handlungsbedarf. Handlungsbedarf, den wir auch ganz leicht erfüllen könnten: In Sachsen lag die Zahl der Arbeitgeber mit Beschäftigungspflicht (ab einer Betriebsgröße von 20 Beschäftigten) zum Jahresende 2020 bei 8.740. Das wären 8.740 Unternehmen, die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen sollten. Allerdings erfüllen nur 21 Prozent davon ihre Beschäftigungspflicht, darunter sind die öffentliche Arbeitgeber mit 43 Prozent noch etwas stärker dabei als die privaten mit nur 19 Prozent. Aber auch der Freistaat ist hier nicht viel besser, mit 4,1 Prozent Pflichtbeschäftigten insgesamt liegen wir unter der Pflichtquote von 5 Prozent und auch unter dem Bundesdurchschnitt von 4,6 Prozent.

Diese Zahlen zeigen es sehr deutlich: Inklusion von Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt in Sachen funktioniert nur schleppend. Und dabei müsste es ganz anders sein. Denn allein schon die UN-Behindertenrechtskonvention sollte uns dazu verpflichten, die Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben zu einem zentralen Anliegen werden zu lassen. Zum Recht auf ein selbstbestimmtes Leben gehört auch die Teilhabe am Arbeitsleben.

Doch was braucht es, um die Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt für behinderte Menschen zu erhöhen?

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle vier Bereiche aufzeigen, in denen wir Änderungen erreichen müssen:

1. Wir brauchen gerechte und faire Bedingungen und Entlohnungen. Das betrifft zum Beispiel die Rente: Wer von einer Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt wechselt, verliert seinen Rentenbonus. Wer im ersten Arbeitsmarkt arbeitet, verdient oft sehr wenig und muss eine sehr niedrige Rente erwarten, die in Altersarmut führt. Wichtig wäre auf Bundesebene darauf hinzuwirken, hier einen Ausgleich zu schaffen.

Die Beantwortung der Anfrage zeigt uns aber auch: Es braucht an vielen Stellen belastbare Daten – Informationen darüber, wie viele Menschen im Niedriglohnsektor arbeiten, wie viele den Mindestlohn verdienen, wie viele Minijobber es gibt. Es braucht Informationen, die uns zeigen, wie oft Menschen von Werkstätten in den ersten Arbeitsmarkt wechseln und was diese begünstigt oder behindert hat.

Gleichzeitig müssen wir aber auch mehr darauf setzen, Arbeitgeber*innen zu sensibilisieren. Sensibilisierungskampagnen sowohl in der Gesellschaft als auch bei den Unternehmen, um Vorurteile und Barrieren abzubauen und Ableismus präventiv entgegenzuwirken, sind dringend notwendig.

2. Es braucht Maßnahmen, um die Übergangsgestaltung von Schule auf den Arbeitsmarkt zu verbessern: Wir brauchen Schulungen und Unterstützung der Arbeitgeber, um das nötige Verständnis und Wissen zu vermitteln, wie zum Beispiel Jugendliche mit Behinderungen erfolgreich in den Arbeitsmarkt eintreten können, zum etwa durch Schulungen zu barrierefreiem Arbeitsplatzdesign und flexiblem Arbeitszeiten, oder auch den Umgang mit spezifischen Bedürfnissen.

Wir brauchen frühzeitige Berufsorientierung für Jugendliche mit Behinderungen, damit diese umfassend über verschiedene Berufsmöglichkeiten und Unterstützungsangebote informieret sind.

Wir brauchen die Fortsetzung der Unterstützung nach dem Schulabschluss: Der Übergang von der Schule auf den Arbeitsmarkt ist ein fortlaufender Prozess. Es ist wichtig sicherzustellen, dass Jugendliche mit Behinderungen im Arbeitsmarkt weiter begleitet werden und Unterstützung erhalten. Außerdem müssen wir endlich einen viel stärkeren Fokus auf inklusive Beschulung legen – sie schafft Sensibilisierung auf allen Seiten und hilft den Betroffenen bei der Vorbereitung für die Arbeit in einem regulären Betrieb.

3. Aber auch das Thema „Werkstätten“ sollten wir endlich stärker angehen. Es liegt schon lange auf der Hand, dass sich hier einiges ändern muss. Änderungen schafft man nicht ad hoc, Änderungen müssen stufenweise laufen und bundesweit.

Ich würde mir aber wünschen, dass wir jetzt schon mal damit beginnen würden und zum Beispiel daran arbeiten, den Anteil der Außenarbeitsplätze zu erhöhen. Dazu gehört auch, dass wir vor allem hier bei uns in der Landesverwaltung und in den Kommunen mehr Außenarbeitsplätze ermöglichen und auch mehr Menschen aus den Außenarbeitsplätzen in die direkte Beschäftigung übernehmen.

Hilfreich wäre auch der Aufbau von Kooperationen und Partnerschaften zwischen Werkstätten und öffentlichen Einrichtungen, um neue Außenarbeitsplätze je nach Bedarf, beispielsweise in Behörden, Krankenhäusern oder kommunalen Einrichtungen, zu schaffen. Ich habe es aber bereits zu Beginn meiner Rede gesagt: Es ist wichtig, auch daran zu denken, dass die Entlohnung fair ist und dass bei Übernahme auch eine ausreichende Altersvorsorge ermöglicht wird. Dafür müssen wir uns vor allem auf Bundesebene stark machen, um den Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt für alle Beteiligten lohnenswert und attraktiv zu machen.

4. Neben den Werkstätten müssen wir für eine wirkliche Änderung und eine bessere Inklusion auf dem Arbeitsmarkt einstehen, aber ganz besonders bei der Unterstützung der Inklusionsbetriebe nachsteuern. Dies können wir erreichen, indem wir Inklusionsbetriebe im Vergabeverfahren noch mehr bevorzugen und die Rahmenbedingungen entsprechend anpassen:

Im öffentlichen Dienst müssen die Vergabekriterien soweit geändert werden, dass Inklusionsbetriebe bei der Auftragsvergabe vorgezogen werden. Es ist aber auch durchaus wichtig, die Qualität der Inklusionsbetriebe im Blick zu haben – und damit meine ich vor allem die Qualität der Arbeitsbedingungen und die Möglichkeit zur sozialen und pädagogischen Unterstützung im Blick zu haben.

Wir müssen Anreize für Betriebe schaffen, zu Inklusionsbetrieben zu werden – wie zum Beispiel Steuervergünstigungen.

Außerdem sollten wir auch prüfen, wie öffentliche Betriebe zu Inklusionsbetrieben werden können, um die Teilhabe von Menschen am Arbeitsmarkt weiter zu stärken.

Ich könnte an dieser Stelle noch unzählige Beispiele aufzählen, denn besonders im Bereich Inklusion in den Arbeitsmarkt haben wir noch sehr viel zu tun und dürfen unsere Verantwortung hier nicht aus dem Blick lassen.

Die Beantwortung zur heutigen Anfrage und auch der 7. Bericht zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zeigen es deutlich: Wir müssen Maßnahmen und Möglichkeiten zur Teilhabe neu denken, wir müssen unser Inklusionsgesetz novellieren.