Aktuelle Debatte Beteiligung – Kuhfuß: Wir müssen den Menschen zeigen, dass sich Mitmachen mehr lohnt als Meckern

Redebeitrag der Abgeordneten Kathleen Kuhfuß (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte der Fraktion BÜNDNISGRÜNE zum Thema: „Sachsen mitgestalten – Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im Freistaat stärken und leben“
71. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 31.05.2023, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Präsident
sehr geehrte Damen und Herren,

warum jammern wir so viel und tun oft nichts, um etwas zu ändern? Warum läuft man in Sachsen gerne montags um Rathäuser, anstatt sich den Themen anzunehmen, die einem auf die Nerven gehen? Und warum hören wir ständig an Küchentischen, Kaffeetafeln und am Grill, was alles nicht geht – und nicht, was alles geht?

Weil wir in unserer erlernten Hilflosigkeit feststecken. Weil es scheinbar viel einfacher ist, zu akzeptieren, dass „die da oben“ an allem Schuld sind und ich hier an meinem Grill daran nichts ändern kann. Dabei ist es auch egal, ob der Grill auf dem Balkon einer Plattenbauwohnung, im schicken Altbau oder im Garten des Landhauses steht.

Das Gegenkonzept von erlernter Hilflosigkeit ist Selbstwirksamkeit und damit die reale Erfahrung, Dinge ändern, weiterentwickeln oder auch stoppen zu können. Wer diese Erfahrungen macht, bewegt etwas und lernt irre viel dabei. Diese Erfahrungen müssen wir ermöglichen!

Seit vielen Jahren läuft das im Bereich der Kinder- und Jugendbeteiligung sehr gut. Warum?

Weil es zivilgesellschaftliche Strukturen in die Hand genommen haben, diese Prozesse zu ermöglichen, zu beraten und zu begleiten. Damit war von Anfang an klar: Es geht um das „möglich“ machen und um Prozesse, die vor Ort verstanden werden.

Warum es doppelt Sinn macht, Kinder- und Jugendliche zu beteiligen, war gestern auch beim parlamentarischen Abend dazu Thema:

  1. Weil sie nicht wie Erwachsene, die an Wahlen teilnehmen können, ihre Vertreter über Repräsentanz bestimmen können und
  2. weil ihre Erfahrungen an Teilhabe und Selbstwirksamkeit noch Generationen wirken: Wo die 68er den Marsch durch die Institutionen wollten, ist es hier der Weg durch die Generation.

Wenn Kinder- und Jugendliche ein Thema nervt, was sie verändern wollen, dann ist es meist sehr konkret. Mein aktuellstes Beispiel ist der Wunsch nach Verkehrsberuhigung vor der Schule. Viele Elterntaxis, der Ball vom Schulhof und die Gruppen, die zum Bus rennen, konkurrieren mit dem fließenden Verkehr. Was braucht es damit das Thema mehr wird als ein Aufreger?

Es muss bekannt sein, dass Beteiligung möglich und gewollt ist. Klingt recht simpel, ist es auch. Jemand muss als Ansprechperson da sein und bestärken, dass es lohnt, für sein Anliegen Partei zu ergreifen.

Es braucht eine Haltung des Ermöglichens, statt des Verhinderns. Egal, ob bei jung oder alt, wir streben alle nach Veränderungen, wenn uns etwas nicht gefällt. Deshalb ist Beteiligung ein ganz gutmütiger Akt, etwas zu verändern. Aber wir brauchen Partner*innen, insbesondere in der Verwaltung, die nach dem Möglichen suchen und nicht nach dem Grund, weshalb eine 30er Zone unmöglich sein soll.

Wir müssen die Bürger:innen, auch die noch sehr jungen, wirklich ernst nehmen. Die Ideen der Kinder aufnehmen, Ratgeber dazu holen und dann um einen gemeinsame Lösung streiten, ist viel nachhaltiger als schicke Bürger*innendialogen, wo Probleme und Ideen eingesammelt werden, dann aber nichts damit passiert. Das ist gut gemeint, nimmt aber die Chance zu lernen, wie Dialog und Kompromiss funktionieren.

Und es braucht noch gute Rahmenbedingungen. Denn jetzt haben die Schüler*innen eine Ideen, was sie wollen und wenn sie am Tisch brauchen, um vor ihrer Schule das Tempo rauszunehmen – und dann wird klar: Da braucht es eine kleine Schulung, einen Raum, vielleicht eine Expert*in und ein wenig Öffentlichkeitsarbeit.
Diese müssen mit einem angemessenen bürokratischen Aufwand beschaffbar sein, sonst hat keine*r Lust, sich weiter zu engagieren.

Alle Punkte sind kein Hexenwerk und die Arbeit des Referats Bürger*innenbeteiligung und Demokratie des Sächsischen Staatsministeriums für Demokratie, Europa und Gleichstellung zeigt mit seinen Richtlinien und dem Umgang mit Antragstellenden, dass neue nutzerfreundliche Wege möglich sind, damit sich Antragsteller*innen  nicht mehr verloren fühlen. Das ist großartig!

Beteiligung ist mehr als das Verhindern von Konflikten, es ist die Einladung zum Gestalten, gemeinsam Lösungen zu finden und das Zusammenleben in Stadt oder der Gemeinde für alle zu verbessern.

Die Herausforderung wird bleiben, Sächsinnen und Sachsen in der gesellschaftlichen Breite wieder davon zu überzeugen, dass sich mitmachen viel mehr lohnt als meckern. Hier hat Politik und Verwaltung in den vergangenen Jahrzehnten zu sehr vermittelt, dass man nur das richtige wählen muss, dann wird das schon geklärt.

Schon länger ist klar: Dieser Weg ist eine Sackgasse. Die Menschen in Sachsen sind unzufrieden und es braucht eine Offenheit bei einzelnen, gerade sehr bewegenden Themen die Expertise der „normalen“ Menschen einzubeziehen.

Deshalb stehen wir als BÜNDNISGRÜNE klar für dauerhafte, ernsthafte und ehrliche Beteiligung hier in Sachsen. Mehr dazu von meiner Kollegin Lucie Hammecke.

Da morgen Kindertag ist, erlaube ich mir aber am Ende noch einen Wunsch. Liebes Sächsisches Staatsministerium des Regionalministeriums, da müsste noch ein Haushaltsprojekt im Bereich Beteiligungen von Kindern und Jugendlichen in den Revieren in ihrem aus Haus liegen, welches eigentlich im März starten sollte. Es wäre doch ein richtig schönes Kindertagsgeschenk, wenn dies sehr zeitnah auch starten kann.

Kinder und Jugendliche sind ungeduldig und das ist gut so. Sie wollen einfach ihre Welt gestalten und es fehlt ihnen, so wie vielen Bürger*innen, an der Geduld, bis Verwaltung alles für sie Notwendige geklärt hat.