Sozialleistungen für Geflüchtete – Čagalj Sejdi: Perfide Stimmungsmache der AfD

Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD: „Grundsätze des Leistungsrechts auch bei Flüchtlingen aus der Ukraine beibehalten und dadurch missbräuchlichen Bezug von Sozialleistungen vermeiden“
60. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 10.11.2022, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

was wir in Deutschland, in Sachsen seit Februar für Geflüchtete aus der Ukraine alles auf die Beine gestellt haben, ist eine Meisterleitung. Wir haben Dinge gemeinsam ermöglicht und geschafft, die bisher so nicht möglich waren. Ich habe es gestern schon erwähnt, ich bin stolz darauf. Ich würde mir wünschen, dass wir allen Menschen, die zu uns flüchten, mit so viel Hilfe und Verständnis entgegentreten.

Meine Familie kommt aus dem ehemaligen Jugoslawien. Auch bei uns gab es einen schrecklichen Krieg. Ein Krieg, mitten in Europa. Direkt vor der deutschen Haustür. Ich kenne so viele Schicksale, so viele Kinder, die damals mit ihren Müttern in Busse gesetzt wurden und ihre Väter nie wiedersahen, die mit ihren Großeltern nach Deutschland fuhren und ihre Eltern nie wiedersahen, Frauen, die hierher geflüchtet waren und versuchten, ab und zu nach Hause zu kommen, um zu sehen, ob die Söhne und der Mann noch leben – das ist Krieg, das ist das Schicksal von Flüchtenden.

Menschen, die in dieser Not jetzt bei uns leben, zu unterstellen, sie wollten unser „Sozialsystem nur ausnutzen“, ist perfide. So zu tun, als sei es eine Vergnügungsfahrt, wieder in den Krieg oder die von einem Angriff bedrohte Stadt zu fahren, ist abartig.

Schämen Sie sich! Glauben Sie ernsthaft, diese Menschen pendeln unter Lebensgefahr zwischen Deutschland und der Ukraine hin und her, nur um Sozialleistungen hier zu erhalten? Wissen Sie überhaupt, wie das ist, wenn man nicht weiß, ob man seine Familie, sein Haus, seine Stadt jemals wiedersehen wird? Wenn man innerlich daran zerbricht, weil man keine Zukunft mehr sieht, weil alles, was eben noch da und normal war, plötzlich nicht mehr so ist? Sie sitzen hier im Warmen, im Sicheren, sind versorgt und ohne Lebensgefahr und maßen sich aus ihrer Bequemlichkeit heraus an, so über Menschen in Not zu urteilen!

SIE stellen Menschen aufgrund einer unbewiesenen Aussage unter Generalverdacht!

Für mich ist das ein Rückschritt in die Zeit der Inquisition. Damals hat eine einfache Behauptung gereicht, um eine Frau auf den Scheiterhaufen zu bringen.

Wir leben aber in einem Rechtsstaat, hier gilt der Grundsatz der Unschuldsvermutung, bis das Gegenteil bewiesen ist – für jeden Einzelnen.

Bis dahin hat Anspruch auf Sozialleistungen wer die Voraussetzungen erfüllt, d.h. Wohnsitz in Deutschland und Bedürftigkeit.

Sie betreiben Stimmungsmache, die nur Ihren eigenen politischen Zielen dient. Ich finde das unverantwortlich. Vor allem, weil sich die Stimmungsmache leider verfängt.

Aus den Erfahrungen von 2015 wissen wir: Am Anfang sind Solidarität und Hilfsbereitschaft groß. Die Bilder am Münchner Hauptbahnhof, Fremde, die sich umarmen, Willkommensgeschenke, die verteilt wurden. Das hat uns alle bewegt.

Ebenso wurden im Februar diesen Jahres die Ukrainer*innen empfangen. Menschen aus der Zivilgesellschaft sind an die Grenze gefahren, um Menschen herzubringen, Wohnungen und Sachspenden wurden in großem Maße bereitgestellt.

Dann legt sich die Euphorie. Überforderung, Erschöpfung und Angst vor Kontrollverlust nehmen zu. Erst jetzt beginnt die wirkliche Feuerprobe für die Solidarität.

Das ist der Zeitpunkt, zu dem die Stimmung kippen kann. Der Zeitpunkt, zu dem Schuldige gesucht werden – und oftmals sind die Geflüchteten diejenigen. die am Pranger stehen.

Und Sie spielen mit der Angst der Menschen in diesen Zeiten. Sie säen Misstrauen, allein um Wählerstimmen zu bekommen. Schämen Sie sich!

Inhaltlich fordern Sie – wieder einmal – Maßnahmen, die jeder gesetzlichen Grundlage entbehren. Das zeigt noch einmal deutlicher, dass es ihnen nicht daran gelegen ist, in dieser Gesellschaft etwas verändern zu wollen. Sondern dass es nur um Ihre eigene Profilierung geht.

Die Bundesagentur hat zu den Vorwürfen Stellung bezogen. Aus ihrer Sicht bestehen aktuell keine Anhaltspunkte für betrügerisches Verhalten. Das SGB II sieht klare Regelungen zur Überprüfung der Leistungsberechtigung vor. Diese wurden auch durch den Rechtskreiswechsel nicht über Bord geworfen. Und wenn es nachträglich doch einmal passieren sollte, dass zu viel Leistungen bewilligt wurden, dann können diese Leistungen zurückgefordert werden.

Eine 14-tägige Meldepflicht ist ein schwerer Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Solch ein Eingriff ist sicher nicht gerechtfertigt aufgrund einer unbewiesenen Aussage eines Einzelnen.

Wir BÜNDNISGRÜNE werden immer an der Seite derjenigen stehen, die vor Not, Krieg, Terror oder Verfolgung fliehen. Solidarität und Humanität braucht es gerade in Krisenzeiten – auch wenn es anstrengend ist und die eigenen Ressourcen betrifft.