Jahresbericht des Ausländerbeauftragten – Sejdi: Zeigen Sie uns Ihre Visionen!

Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zum Jahresbericht 2021 des Sächsischen Ausländerbeauftragten
59. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 09.11.2022, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Bericht greift ein Thema auf, dass hier bei uns immer mehr an Relevanz gewinnt: Die Gewinnung von Fachkräften. Ich habe gelesen, dass Sie sich diesem Thema auf breiter Front annehmen und mit vielen Akteuren, Arbeitgebern, der Bundesagentur, dem Verein Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen e.V. sowie dem ZEFAS gesprochen haben. Das ist gut, das ist wichtig. Wenn wir über die Gewinnung von Fachkräften sprechen, müssen wir aber in erster Linie darüber sprechen, dass bereits Menschen bei uns leben, die ebenfalls potentielle Fachkräfte sind. Diesen Aspekt vermisse ich in ihrem Bericht.

Es gibt viele zugewanderte Menschen in Sachsen, sie haben bereits das Fachwissen aber keine Arbeitserlaubnis oder sie haben einen entsprechenden Abschluss, der hier aber nicht anerkannt ist. Anderen fehlt der Aufenthalt.

In Sachsen leben über 10.000 Geduldete. Circa die Hälfte dieser Menschen profitieren nach Schätzungen von beispielsweise „Pro Asyl“ von dem geplanten Chancenaufenthaltsrecht. Das sind Fachkräfte und sie leben schon hier. Wir bilden junge Menschen aus, die wir dann abschieben. Das ist Potenzial, diese Menschen leben bereits bei uns, sie sprechen bereits Deutsch und sie kennen sich hier aus. Sie sind ein wichtiger Baustein in der Diskussion um Fachkräfte.

Auch bei den Zahlen der erteilten Aufenthaltserlaubnisse nach § 25a und 25b sowie bei den Beschäftigungs- und Ausbildungsduldungen hier in Sachsen sehe ich noch viel Luft nach oben. Ich habe mir angeschaut wie viele dieser Aufenthaltstitel in den letzten drei Jahren erteilt wurden. Trotz des Erlasses zur Ausbildungsduldung des Innenministeriums im Dezember 2020 steigen die Zahlen zu den erteilten Ausbildungsduldungen nicht. Ganz im Gegenteil: 2020 waren es 165, 2021 waren es 111 und im 1. Halbjahr 2022 gerade einmal 36! Auch bei der Beschäftigungsduldung liegen die Zahlen pro Halbjahr im Schnitt bei 40. Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 25a im Schnitt um die 60. Und bei Aufenthaltserlaubnissen nach 25b liegen wir bei knapp 30 in 2021.

Ich sehe insbesondere bei den Erteilungsquoten in den einzelnen Landkreisen große Unterschiede. Während in der Stadt Leipzig und bei bestimmten Titeln im Vogtlandkreis regelmäßig die höchsten Zahlen bei den Erteilungen zu finden sind, sind Landkreise wie Bautzen, Görlitz oder Nordsachsen traurige Schlusslichter. Auffallend ist auch, dass in den Statistiken immer eine hohe Zahl an Anträge zu finden ist, welche weder erteilt noch abgelehnt worden sind. Das sind über 50%!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

hier muss sich etwas ändern. Hier wünsche ich mir vom Sächsischem Ausländerbeauftragten, dass er sein Augenmerk darauf richtet. Was ist der Grund für diese geringen Erteilungsquoten, warum werden Anträge nicht bearbeitet? Die Statistik im Bericht schweigt zu diesen Dingen, hier wäre mein Vorschlag, diese Zahlen in den Bericht 2022 mit aufzunehmen. Das würde die Transparenz der Arbeit der Ausländerbehörden deutlich erhöhen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Es geht aber nicht nur darum, unseren Fachkräftemangel zu decken. Wir können Menschen nicht dafür ausnutzen. Das sollten wir 61 Jahre nach den ersten Gastarbeiterabkommen der BRD und den Vertragsarbeiterabkommen der DDR wissen. „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“, sagte Max Frisch 1965. Mich erinnert in der Debatte um Fachkräftezuwanderung vieles an die damalige Zeit und ich finde wir können auch sehr viel daraus lernen, auch aus den Fehlern, die damals gemacht wurden. Damit sich Menschen bei uns wohlfühlen, damit sie gerne mit uns leben, brauchen wir eine bessere Willkommenskultur.  Zum Beispiel in den Ausländerbehörden. Ausländerbehörden müssen endlich zu Behörden werden, die mit den Menschen arbeiten und nicht gegen sie!

Ausländerbehörden müssen unterstützen, sie müssen beraten und dabei helfen den passenden Aufenthaltstitel zu finden. Dies ist eine der Grundvoraussetzungen, um überhaupt Arbeit aufnehmen zu können. Mit einer Aufenthaltserlaubnis ist grundsätzlich Erwerbstätigkeit erlaubt. Das gibt auch potentiellen Arbeitgebern Sicherheit.

In unseren Ausländerbehörden brauchen wir:

  • bessere Beratungen,
  • eine am Integrationsgedanken orientierte Nutzung von Ermessensspielräumen im Aufenthaltsgesetz,
  • kürzere Bearbeitungszeiten bei der Antragsbearbeitung
  • und mehr Mitarbeitende mit eigener Migrationsgeschichte.

Diese Punkte wurden mir auch im Gespräch mit den Arbeitsmarktmentoren in Sachsen, dass ich kürzlich führen konnte, gespiegelt.

Weiterhin braucht es endlich ermessenlenkende Anwendungshinweise für alle genannten Möglichkeiten des Spurwechsels. Damit erreichen wir eine einheitliche Entscheidungspraxis in den Ausländerbehörden. Die vorliegenden Zahlen zeigen, dass es erhebliche Unterschiede bei der Erteilungspraxis gibt. Angesichts des Fachkräftemangels, der uns droht, muss unbedingt auch die Entziehung der Beschäftigungserlaubnis auf den Prüfstand. Wir haben in der Vergangenheit mehrfach von Fällen gehört, in denen diese entzogen wurde und Arbeitgebende, die wertvolle Arbeitskräfte verloren haben, ratlos zurück gelassen wurden.

Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist die migrationsgesellschaftliche Öffnung der Verwaltung. Diese trägt zu einer wirklichen Willkommenskultur bei. Derzeit – und das geht aus Ihrer Statistik hervor – beträgt der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte bei der Ausbildung in der öffentlichen Verwaltung 0,5%. Der Anteil der bereits in der öffentlichen Verwaltung Beschäftigten beträgt 0,44 % . Auch hier brauchen wir mehr Fachkräfte.

Mit dem Integrations- und Teilhabegesetz, welches derzeit im SMSGZ erarbeitet wird, haben wir die Möglichkeit, eine umfassende gesetzliche Grundlage zu schaffen. Es braucht nicht nur eine Erhöhung des Anteils an Beschäftigten mit Einwanderungsgeschichte, es braucht außerdem: migrationsgesellschaftliche Kompetenz für alle Beschäftigten. Diese ist durch Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowohl bei Neueinstellungen als auch bei bestehenden Beschäftigungsverhältnissen sicherzustellen. Ich hoffe sehr, dass Sie auch bei dem Thema Fachkräfte in Sachsen sichern und halten ein Partner sein werden.

Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen und das betrifft die faire und sichere Arbeit für zugewanderte Menschen. Leider erleben wir es noch viel zu oft, dass zugewanderte Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen landen. Dies betrifft EU-Bürger und Geflüchtete. Oft ist es schwer für sie, eine Anstellung zu finden, da neben nicht anerkannte Abschlüssen, sprachlichen Hürden aber auch Vorurteile gegen sie eine Rolle spielen. Das spielt in die Taschen derer, die Menschen für ihre Zwecke ausnutzen. Besonders im Kurierdienst, in der Fleischverarbeitung aber auch in anderen Bereichen werden Menschen als Arbeitskräfte ausgenutzt, meist sind es Migrantinnen und Migranten, meist machen sie Arbeiten, die unseren Wohlstand sichern. Hier wünsche ich mir den Blick des Ausländerbauftrgten, hier wünsche ich mir Kritik und mehr Schutz!

Was ich in ihrem Bericht außerdem vermisse, ist die Sichtweise des Sächsischen Ausländerbeauftragten. Wo sind Kritik, Anregung, Lob? Was können die in Sachsen lebenden Menschen mit Einwanderungsgeschichte vom Sächsischen Ausländerbeauftragten erwarten? Wo sieht er Verbesserungsbedarf, wofür setzt er sich bei den einzelnen Bereichen ein? Im Moment kann ich kein Engagement, dass über das über die Zahlen und Fakten hinausgeht, erkennen. Wenn dem wirklich so ist, wäre das sehr schade.

Sachsen ist ein vielfältiges Land, ihre Arbeit ist ein Teil, der dazu beiträgt. Zeigen Sie uns Ihre Visionen, helfen Sie uns mit neuen Iden gemeinsam noch besser zu werden.