Fachregierungserklärung Regionalentwicklung – Kummer: Teilhabe und demokratische Prozesse festigen!

Redebeitrag der Abgeordneten Ines Kummer (BÜNDNISGRÜNE) zur Fachregierungserklärung zum Thema: „Regionalentwicklung für lebendige Regionen“

59. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 9.11.2022, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,

das Sächsische Ministerium für Regionalentwicklung beging kürzlich sein tausend-tägiges Bestehen, wir haben es eben auch von Minister Schmidt gehört – dazu auch von mir und meiner Fraktion herzlichen Glückwunsch!

Von Beginn an begleiten wir BÜNDNISGRÜNE die Wege des SMR mit freundlich-kritischem Blick und wir arbeiten gemeinsam mit dem Ministerium an den gleichen Zielen. Natürlich sehen BÜNDNISGRÜNE Schwerpunkte etwas anders aus, als die Umsetzung in einem CDU-geführten Haus. Welche Themen mich und meine Fraktion besonders umtreiben, das wissen Sie, Herr Minister Schmidt, natürlich bereits. Und wir werden immer hier zur Stelle sein, um Sie daran zu erinnern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Grundgesetz spricht davon, dass überall gleichwertige Lebensverhältnisse herrschen sollen. Doch wo der Bus – wenn überhaupt – nur zweimal am Tag kommt und die Geschäfte im Dorf schon lange dicht gemacht haben, ist der Mangel offensichtlich.

Ein gutes Leben führen, egal wo man wohnt, egal wo man herkommt, egal, ob man reich oder arm, gesund oder krank ist – alle Menschen im Blick zu haben und für Ausgleich zu sorgen, wo er notwendig ist, das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Hier im Landtag aber auch in der Koalition in Zusammenarbeit mit der Staatsregierung.

Das machen wir abstrakt, wenn wir uns wie in diesen Tagen und Wochen mit dem Staatshaushalt beschäftigen und mit unseren Entscheidungen das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler so einsetzen, dass es für alle in Sachsen etwas Positives bewirkt. Zugegebenermaßen eine Herkulesaufgabe. Aber wir machen das auch konkret und zwar, indem wir die Verantwortung für Aufgaben und Projekte in die Hände der Ministerien legen und da ist das Ministerium für Regionalentwicklung ganz vorn dabei in Sachen gleichwertige Lebensverhältnisse!

Die Ziele des SMR sind auf der Homepage des Ministeriums kurz und knackig so beschrieben: Vitale Regionen im gesamten Freistaat, ein lebenswertes Sachsen in Stadt und Land und die Behebung von Defiziten durch gezielte Förderung. Wenn man sich wissenschaftlich auf die Spur begeben will, um diese Defizite zu erkennen, greift man zum Raumordnungsbericht. Im Sommer war die Neuauflage von 2020 Thema einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Regionalentwicklung. Das übergeordnete Thema im aktuellen Bericht lautete Erreichbarkeit. Im Sinne von: wie kommen Menschen von A nach B, von ihrem Wohnort zum Einkaufen, zur Schule, zum Arzt, zum Sportverein oder zum Kulturerlebnis.

Das ist dann schon einer der Punkte, wo sich eine GRÜNE Handschrift etwas anders lesen würde. Gleich im ersten Kapitel ist die Erreichbarkeit des nächstgelegenen Grund-, Mittel oder Oberzentrums ausschließlich in Minuten Fahrzeit mit PKW angegeben. Im nächsten Kapitel geht es um Bildung, da hat man offenbar dann doch Zweifel gehabt, ob die PKW-Minuten eine sinnvolle Einheit sind: Da werden also Kilometer Entfernung angegeben. Bei den Berufsschulzentren aber gleich wieder Fahrzeiten mit PKW. Und so geht es immer weiter. Na klar können in so einem kompakteren Bericht nicht alle Optionen aufgeführt werden können, aber ganz ehrlich: Diese Art der Betrachtung schließt unglaublich viele Menschen aus. Kinder und Jugendliche, Menschen mit körperlichen Einschränkungen, Personen, die sich ein Auto nicht leisten können – oder Landtagsabgeordnete wie mich, die einfach keine Fahrerlaubnis haben. Das ist nämlich keine Pflicht, aber ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe haben alle Sächsinnen und Sachsen.

Dass die Erreichbarkeit mit anderen, umweltfreundlichen Verkehrsmitteln ein Standortfaktor ist, ist hinlänglich bekannt. Spannenderweise kommt das Thema im Bericht an der Stelle auf, wo es um Forschung und Entwicklung geht. Diejenigen, die für uns an der Welt von morgen tüfteln, fragen nämlich ganz gezielt nach der Erreichbarkeit mit ÖPNV und Personenfernverkehr. Wenn wir ein Großforschungsprojekt in der Lausitz ansiedeln, sollten wir zukunftsfähige und moderne Mobilität in der Fläche viel stärker mitdenken. Natürlich wäre es schön, wenn man von Görlitz mit dem ICE nach Berlin fahren kann, aber auch Maßnahmen für ausreichend Mobilität in der Fläche sind sinnvoll und unbedingt notwendig.

Erreichbarkeit hat natürlich nicht nur etwas mit dem Zurücklegen von Strecken zu tun. Erreichbarkeit heißt auch: Wie erreichen wir mit unserer Politik, oder die Ministerien und Behörden mit ihrer täglichen Arbeit – im Dienst für und bezahlt von den Sächsinnen und Sachsen – die Menschen da draußen? Die, die jetzt hier durch die Landeshauptstadt radeln genauso wie die, die in Freital im Edelstahlwerk arbeiten oder in Delitzsch von einer kleinen Rente leben? Und wie erreichen die Einwohnerinnen und Einwohner des Freistaats mit ihren Anliegen uns?

Der Ansatz ist: Hingehen, Zuhören, fragen! Das A und O ist eine gute Bürgerbeteiligung bei allen Prozessen, die grundlegende Veränderungen begleiten oder noch herbeiführen. Uns geht es nicht um Beteiligung der Beteiligung wegen, sondern um echte Bürgerbeteiligung z.B. im Strukturwandelprozess. Gute Beteiligung nimmt die mit, die von den Entscheidungen betroffen sein werden, informiert zu Rahmenbedingungen und Varianten und lässt neue Einflüsse zu. Dazu braucht man Zeit und Expertise. Sehr geehrter Herr Minister Schmidt: Wir warten nach wie vor auf die Bürgerbeteiligungskonzeption im Strukturwandelprozess, denn Beteiligung muss mehr sein als Pro-Forma-Beteiligung bei der Erstellung von Projekten im Strukturwandel und damit Sicherung des Mittelabflusses.

Wir Bündnisgrüne wollen, dass Teilhabe an demokratischen Prozessen gefestigt wird. Jetzt besteht z.B. die Chance es richtig zu machen, für echte Beteiligung bei der Entwicklung von Projekten in den Kohlerevieren für die Förderperiode ab 2027. Das kann nicht alles den Kommunen überlassen werden. Es braucht entsprechende Rahmenbedingungen und finanzielle Ressourcen. Dies wurde erst kürzlich bei der Anhörung zur Kinder- und Jugendbeteiligung im Strukturwandel von den verschiedenen Sachverständigen sehr deutlich gemacht.

Ich bin überzeugt, wir können wir einen Weg finden, auf die junge Generation zu hören, die mit den jetzt zu treffenden Entscheidungen Jahrzehnte lang leben muss, ganz besonders, wenn es sich um Infrastrukturprojekte handelt. Ja, ihnen fehlt die Erfahrung, die jemand, der seit Jahren in der Verwaltung arbeitet, hat. Aber sie haben ganz andere Perspektiven. Sie erleben, dass viele Ältere ihre Probleme gar nicht sehen.

Natürlich sind auch wir Älteren auch auf die Jugend angewiesen, allein schon um genug Fachkräfte in unseren Regionen halten zu können. Dabei bietet der Strukturwandel eine große Chance – gerade die Energiewende bringt neue Jobs und Wirtschaftsmodelle mit. Zum Beispiel halten Energiegenossenschaften Gewinne in der Region und helfen nachhaltig zu wirtschaften.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in der Stadt tobt das Leben – auf dem Land beginnt es! Die Entwicklung der ländlichen Räume hat daher einen hohen Stellenwert im SMR. Aufmerksamkeit und Wertschätzung für die Leistungen, die in den ländlichen Räumen erbracht werden zeigt sich u.a. auch in den verschiedenen Programmen und Förderinstrumenten des SMR.

Noch nie, liebe Kolleginnen und Kollegen, konnten Städte ohne ihr Umland leben. Und – Getreide, Kartoffeln, Milch und Fleisch – auch unsere Lebensmittel werden auf dem Land produziert und mehrheitlich in der Stadt verbraucht. CO2-neutraler Strom bringt gute Jobs in die Region, egal ob in Stadt oder Land. Für viele Unternehmen ist es selbstverständlich geworden, klimaneutral werden zu wollen.

Behebung von Defiziten durch gezielte Förderung – wir erinnern uns: eines der Ziele des Ministeriums für Regionalentwicklung. Deshalb möchte ich zum Schluss noch ein besonders gutes Förderinstrument in der Regionalentwicklung herausstellen, als flankierende Maßnahme der LEADER-Förderung, welches in den Regionen gut ankommt: die vitalen Dorfkerne. In den 30 sächsischen Leader-Regionen wird der bottom-up-Ansatz gelebt. Von der ersten Idee über die Antragstellung bis zur Umsetzung begleiten die sehr engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Regionalmanagements in den Leader-Aktionsgruppen die lokalen Akteure. So sind – auch Hand in Hand mit jungen Leuten – schon viele tolle Projekte mit lokaler oder auch überregionaler Strahlkraft entstanden – überall in Sachsen. Wenn ich in den Regionen unterwegs bin, bin ich immer wieder neu begeistert über die vielen guten Ideen und die beeindruckende Tatkraft, die ganz oft hinter den Projekten steht.

Dieser vitale Funke, so will ich es mal nennen, muss auch im Strukturwandel zünden. Da leuchten die Augen leider manchmal nicht so sehr, wenn wir vor Ort sind. Das wünsche ich aber allen, die sich für ihr Dorf, ihren Verein, ihr Städtchen engagieren. Dass sie Freude daran haben, Erfolge sehen und einfach gern in Sachsen leben. Gleichwertig in Stadt und Land. Das ist unser BÜNDNISGRÜNER Anspruch an das SMR, aber auch eine gemeinsame Zielstellung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!