Doppelhaushalt 2023/24 – Schubert: Wir wollen in Krisenzeiten für Stabilität sorgen und gleichzeitig Gestaltung ermöglichen
Redebeitrag der Abgeordneten Franziska Schubert (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der Staatsregierung „Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplanes des Freistaates Sachsen für die Haushaltsjahre 2023 und 2024 (Haushaltsgesetz 2023/2024 – HG 2023/2024)“ (Drs 7/10575)
55. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Montag, 29.08.2022, TOP 2
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte zunächst einige grundsätzliche Ausführungen machen zu den Rahmenbedingungen, in denen wir diesen Doppelhaushalt aufstellen. Es ist der zweite dieser Regierungskoalition und er ist erneut einer, der vor der Herausforderung steht, in Krisenzeiten Stabilität und Gestaltung zu ermöglichen.
Die Krisen, in denen wir uns befinden, sind existenziell. Ich glaube an Deutschland und ich glaube auch an Sachsen, dass wir das schaffen können, mit diesen Krisen umzugehen. Aber nicht mit den Strukturen und Prioritäten, die wie unter dem Brennglas als große Schwachstellen offenbar geworden sind.
Und so sind es der russische Krieg gegen die Ukraine, das Überschreiten der Leistungsgrenzen unseres Planeten und neuartige Krankheiten, die uns global vor Augen führen, wie notwendig es ist, dass wir als Menschen unser Handeln radikal verändern. Sachsen kann sich nicht frei machen von diesen Faktoren, die sich auch bei uns auswirken – gesellschaftlich und ökologisch.
Haushalts- und Finanzpolitik trägt in diesen Zeiten eine besondere Bürde. Und so ist die Kernfrage, mit der wir BÜNDNISGRÜNE uns diesem Haushaltsentwurf nähern: Leistet das, was vorgeschlagen wird, einen Beitrag dazu, mit den Krisen umzugehen und findet trotzdem politische Gestaltung statt?
Einnahmen und Ausgaben bilden die zwei Säulen, die bestimmend sind für einen Haushalt.
Die Einnahmesituation sieht für Sachsen nicht schlecht aus, was wir neben den Transfers von Bund und EU auch der Kraft der im Land wirtschaftenden und arbeitenden Menschen zu verdanken haben. Traditionell wird in Sachsen im Finanzministerium mit mehr Abschlägen als anderswo die Steuereinnahmesituation nach unten korrigiert. Aus Sicht eines Finanzministeriums mitunter nachvollziehbar; aus Sicht von Parlament, Wissenschaft und Bürgern intransparent.
Man braucht, um einen Haushalt aufstellen zu können, eine valide Datenbasis. Die wird in Sachsen teilweise noch immer zum Staatsgeheimnis erklärt; ein unnötiger Akt.
Die Einnahmesituation, die dem Entwurf der Staatsregierung zugrunde gelegt wird, ist für unsere Fraktion so nicht zustimmungsfähig. Ich sprach eingangs von existenziellen Fragen. In solchen Zeiten, noch dazu bei Inflation, macht man keine Steuererhöhung. Das ist volkswirtschaftlich falsch. Hinter uns liegt mindestens eine goldene Dekade. In dieser Zeit von wirtschaftlichem Aufschwung macht man Steuererhöhungen. Das wurde verpasst.
Was man allerdings dringend machen muss, ist, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so anzupassen, dass man auf konjunkturbedingte Einbrüche reagieren kann. In Sachsen ist das derzeit nicht möglich – und das ist gefährlich. Darum ist der notwendige Hebel, um die Einnahmesituation realistischer darzustellen, die Veränderung der Tilgungszeit für die aufgenommenen Corona-Kredite und nicht die Erhöhung von Steuern. Die Schuldenbremse in ihrer momentanen Ausgestaltung bremst Sachsen aus. Sie behindert Aufschwung und gefährdet die Gestaltung unserer Zukunft. Eine Konjunkturkomponente – wie wir BÜNDNISGRÜNEN sie vorgeschlagen haben – kann verantwortungsvoll und zeitnah konjunkturelle Schwankungen abfangen. Der vorliegende Entwurf zum Haushalt 2023/24 wurde ohne eine Neureglung im Mechanismus der Schuldenbremse aufgestellt. Das hat die ohnehin schwierigen Rahmenbedingungen noch einmal zusätzlich belastet. Schweres Erbe fürs Parlament.
Wissenschaftlich konnten wir mittlerweile mehrfach klären, dass die sächsische Schuldenbremse ungeeignet ist, da sie nicht auf konjunkturelle Entwicklungen reagieren kann. Trotzdem halten immer noch Teile daran fest, obwohl sich das Rad der Zeit weitergedreht hat und obwohl wir unbedingt auf konjunkturelle Einbrüche reagieren können müssen – das leugnet doch nicht wirklich jemand ernsthaft. Solche konjunkturellen Einbrüche rettet man nicht mit eisernem Sparen – das sind Größenordnungen, die das Potenzial haben, jeglichen sozialen Frieden in diesem Land zu zerstören. Weil wir dann nämlich nicht mehr von ein paar zivilgesellschaftlichen Trägern sprechen, denen man das Geld streicht, sondern von großen Investivblöcken, die man wegnehmen muss, wenn man diese Größenordnungen ausgleichen will. Auch gesetzliche Pflichtleistungen wären dann nicht mehr zahlbar. Wer also der Auffassung ist, dass Sachsen nicht mehr investieren soll, der sage das dann bitte auch ehrlich; alles andere ist gefährliche Ahnungslosigkeit. Und warum braucht man in Krisenzeiten Investitionen? Um antizyklisch, also entgegen der Krise wirken zu können und somit zu deren Überwindung beiträgt. Diesen Handlungsspielraum hat Sachsen im Moment nicht und das halte ich für das größte systemische Haushaltsrisiko.
Schauen wir uns die Ausgabensituation an. Angesichts der beschriebenen existenziellen Krisen muss oberste Priorität haben, den Freistaat krisenfest aufzustellen. Die grundlegende Frage ist: Leisten die jeweiligen Ausgaben einen Beitrag dazu, krisenfester zu werden? Es darf nach unserer Auffassung kein öffentliches Geld dafür verwendet werden, etwas zu unterstützen, was uns in Krisen nicht hilft oder diese sogar noch verschärft. Wir brauchen intakte ökologische Systeme, in denen gesundes Wirtschaften möglich ist. Überall dort, wo versiegelt wird, wo Bäume fallen, wo Gewässer vertrocknen oder hochgradig krank sind – überall dort wird Krise verstärkt.
Und überall dort, wo sich Wirtschaft, Mensch, Gesellschaft aufmacht, die neuen Wege zu gehen, überall dort ist es unsere Aufgabe als Politik, ihnen diesen Weg freizuräumen und genau dort zu unterstützen, an ihrer Seite zu stehen. Alles, was wir zukünftig fördern, sollte multifunktional gedacht sein – der Bereich Wohnen, Bauen, Mobilität, Wirtschaftsförderung – alles, was wir mit öffentlichem Geld unterstützen, muss auf mehr als reine Gewinnmaximierung abstellen.
Der Haushaltsentwurf fällt in eine existenzielle Zeit. Ein Kürzungs-Haushalt wäre in der gegenwärtigen Situation gesellschaftlich und politisch verantwortungslos. Das geht nicht mit uns BÜNDNISGRÜNEN.
Wir setzen auf eine solide Finanzpolitik, die unsere Werte erhält, in die Zukunft investiert, nachhaltiges Wachstum und Wohlstand schafft. Wir setzen uns dafür ein, auch kommenden Generationen einen Gestaltungsspielraum zu vererben. Das setzt voraus, dass die öffentlichen Finanzen entsprechend tragfähig und nachhaltig aufgestellt sind.
Da haben wir in Sachsen noch sehr viel auf der Agenda stehen. Das reicht von der dringend erforderlichen Neuausrichtung der sächsischen Förderpolitik über eine bereichsübergreifende verstärkte Zusammenarbeit und gemeinsame Nutzung von Infrastruktur, bessere Abstimmungen bis hin zur Überarbeitung der sächsischen Schuldenbremse.
Der Entwurf ist für uns ein Vorschlag; ein Zwischenstand – und wir werden in den nächsten Wochen diskutieren, ob er so geeignet ist, die vor uns liegenden Anforderungen und Aufgaben zu erfüllen. Wir wissen noch nicht, wohin uns die Preissteigerungen führen. Wir werden nachsteuern müssen. Dafür brauchen wir geeignete finanzpolitische Instrumente, die ermöglichen und nicht blockieren und zerstören.
Für uns BÜNDNISGRÜNE wird daher der Schwerpunkt bei der Beratung des Entwurfs des Doppelhaushalts im parlamentarischen Verfahren unter dem Stichwort der Krisenfestigkeit stehen und der Frage, ob geplante Ausgaben geeignet sind, darauf einzuzahlen.
Der Erhalt unserer Ökosysteme als Lebensgrundlage allen Wirtschaftens und Lebens sowie das gesellschaftliche Ökosystem stabil zu halten – diesem Pfad werden wir folgen.
Ich möchte nun auf einige Bereiche genauer eingehen und Schlaglichter für uns BÜNDNISGRÜNE setzen. Mit dieser Koalition zeigen wir eine in Sachsen noch nie vorher dagewesene Verantwortung für Umwelt- und Klimaschutz. Weil wir einen Plan haben, die Ökosysteme dieses Landes, welche die Grundlage für unser Leben und Wirtschaften bilden, so aufzustellen, dass wir gut durch Krisen kommen.
Allein dieser Sommer hat mit seiner Trockenheit wieder gezeigt, dass wir handeln müssen. Es ist jetzt an uns, eine Antwort auf die rasch wachsende Diskrepanz zwischen sinkendem Wasserangebot und steigendem Wasserbedarf zu geben. In diesem Haushalt sind etwa 22 Millionen Euro für eine verbesserte Wasserversorgung und das Wassermanagement bereitgestellt. Das ist einer der BÜNDNISGRÜNE Schwerpunkte – nicht, weil es programmatisch gut passt; sondern weil es zum Lebensprogramm von uns allen gehört. Damit sind noch keine Engpässe beseitigt oder Konflikte gelöst. Es muss einfach allen klar sein, wie überlebensnotwendig diese Ausgaben sind und das Privilegierungen wie für den Braunkohletagebau unangemessen sind. Im Entwurf ist nun eine Erhöhung der Wasserentnahmeabgabe vorgesehen. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, für den wir als BÜNDNISGRÜNE schon lange kämpfen.
Katastrophen- und Bevölkerungsschutz
Die verheerenden Waldbrände haben uns auf dramatische Art und Weise vor Augen geführt, dass ein gut ausgestatteter Bevölkerungsschutz elementar zur Gefahrenabwehr ist. Das wurde im Entwurf aufgegriffen. Besonders hervorzuheben ist das Sächsische Katastrophenschutz-Symposium. Bei der Stärkung dieses Bereichs verstehen wir uns hier als zuverlässige Partnerin an der Seite des Innenministeriums.
Kultur
Die gute Nachricht ist sicher zunächst mal, dass im Kulturhaushalt keine groben Kürzungen und Streichungen vorgenommen wurden. Dem Entwurf ist aber auch zu entnehmen, dass für die Breite der Kultur im ganzen Land eine Nullrunde vorgesehen ist. Und ich weiß, dass es hier auf uns BÜNDNISGRÜNE ankommen wird, in diesem Haushalt nicht nur Kürzungsvorschläge abzuwehren, sondern auch hier den Entwurf zu verbessern. In den nächsten Wochen werden wir darüber reden müssen, warum die Kulturraummittel und die Mittel für den Kulturpakt nicht angepasst wurden. Die investiven Verstärkungsmittel fehlen gar vollständig. Das geht so nicht.
Bildung
Schule und Bildung sind gesellschaftstragende Säulen. Die vergangenen zwei Jahre haben Kinder und Jugendliche besonders gefordert und belastet. Wir erleben, dass die Folgen weit über versäumten Unterrichtsstoff allein hinausgehen und es ist absehbar, dass uns das bis auf Weiteres begleiten wird.
Daher ist es uns als Koalition wichtig, dass wir unsere Bildungseinrichtungen bestmöglich unterstützen. Das Neubewilligungsvolumen in Höhe von 200 Millionen Euro für Bildungsinfrastruktur ist ein Zeichen. Auch das Modernisierungsprogramm für berufsbildende Schulen im Umfang von 44,5 Millionen Euro ist ein wichtiger Schritt, um auch diese hinsichtlich der baulichen und digitalen Infrastruktur fit für die Zukunft zu machen.
Das Kultusministerium hat auf Basis der Bedarfsprognose gut 2.000 Stellen für Lehrkräfte und weitere 1.100 Stellen für Schulassistenzkräfte beim Finanzministerium angemeldet. Nun stehen 730 neue Stellen für Lehrkräfte im Haushaltsentwurf. Können wir damit zufrieden sein? Werden die Eltern zufrieden sein, die Schülerinnen und Schüler?
Zu den Kitas werden wir in den nächsten Wochen auch reden müssen. Wie kann es sein, dass im Entwurf die Regelfinanzierung nicht sichergestellt ist? Und das nach zwei Pandemiejahren, eingeschränktem Regelbetrieb und der immer noch fehlenden Berücksichtigung von Fehlzeiten des pädagogischen Personals bei der Berechnung des Personalschlüssels. Wir BÜNDNISGRÜNE werben sehr dafür, das Kitagesetz jetzt – und damit vor der angekündigten Novelle 2024 – mit dem Haushaltsbegleitgesetz zu ändern. Die Qualität der frühkindlichen Bildung muss gesichert sein. Hier werden Grundsteine fürs Leben gelegt.
Gewaltschutz und Gleichstellung
Im letzten Haushalt ist es erstmals gelungen, flächendeckend für Gewaltschutzeinrichtungen Sorge zu tragen. Wir lassen hier jetzt nicht nach. Corona hat in den vergangenen beiden Jahren offengelegt, wie dringend die Schutzangebote gebraucht werden. Wir BÜNDNISGRÜNE werden uns wieder dafür einsetzen, dass der Freistaat seiner Verantwortung hier nachkommt. Im parlamentarischen Verfahren werden wir auch das kommende Gleichstellungsgesetz finanziell untersetzen.
Im Sozialbereich wird nicht gekürzt. Das ist im Angesicht der vielfältigen Krisen eine sehr gute Nachricht! In den Haushaltsverhandlungen werden wir allerdings darüber sprechen, was in den kommenden Monaten notwendig sein wird, um Armut im Einzelnen entgegenwirken zu können.
Wir haben es geschafft, dass wichtige Mobilitäts-Schwerpunkte durch eine solide, gleichbleibende finanzielle Ausstattung verstetigt werden. Notwendige finanzielle Aufwüchse erhalten die Investitionen in den ÖPNV/SPNV und auch die beginnenden Planungen für die zwei zentralen Bahnprojekte: die Zweigleisigkeit Chemnitz-Geithain und die Elektrifizierung des Teilstückes Dresden-Görlitz sind im Einzelplan drin. Trotzdem ist zu sagen: Radwegebau und Streckenreaktivierungen sind wichtige Bestandteile der Verkehrswende und werden im Entwurf wieder nur „als Fußnote“ geführt. Hier braucht es deutlich mehr Willen, Engagement und Tempo.
Wirtschaft
Wenn wir über Sachsen als Wirtschaftsstandort reden, dann reden wir darüber, dass der öffentliche Auftrag lautet, Unternehmen bei der ökologischen Transformation zu begleiten, damit sie krisenfest und zukunftsgewandt agieren können. Als öffentliche Hand können wir aktiv unterstützen, indem wir die Wirtschaftsförderung an Nachhaltigkeitskriterien ausrichten. Wir unterstützen die Wirtschaft bei ihren Aktivitäten zur Klimaanpassung und ihrem Beitrag zur Kreislaufwirtschaft.
An diesen ausgewählten Schlaglichtern wird deutlich, dass in den nächsten Monaten mit dem Vorschlag der Staatsregierung jede Menge Diskussionsstoff auf dem Tisch liegt. Wir freuen uns auf kollegiale Beratungen und sind sicher: So, wie dieser Entwurf ins Parlament heute reingeht, wird er nicht rauskommen.